Wer
mordet, fällt durch Mord“.
„Blut für Blut“. In diesem ungeschriebenen Gesetz sind die
Protagonisten gefangen wie in einem unsichtbaren Netz. Das ist wohl der
Grund, warum, wie einem Zwang folgend, alle Handlungen wieder zur nächsten
„Tragödie“ führen.
Wer dem Geschehen folgen will, die Zusammenhänge begreifen können will,
sollte vorher eine gute Übersetzung der Griechischen Götter- und
Heldensagen gelesen haben.
Die Bühne, als überlebensgroßer Käfig inmitten des Zuschauerraumes
eingerichtet, lässt daran denken, dass jeder Mensch, eigenen Zwängen
unterliegt, sie sind die Gitterstäbe, gegen die wir anrennen.
Im alten Griechenland wurden menschliche Tragödien auf die Götte
projiziert, diese tragen Schuld an den Handlungen der Menschen, die auf
diese Weise dem Schicksal beinahe ohne eigenes Zutun ausgeliefert sind.
Zeus selbst lenkt letztlich die Geschicke der Menschen. Auf ihn beruft
sich sogar Apoll, wenn er sich in der Gerichtsverhandlung am Ende des
Stückes zu rechtfertigen sucht.
Welche Eindrücke nimmt der Premierenbesucher mit von der Bühnenfassung
des Stückes „Orestie“ von Aischylos?
Die Signalfarbe Rot führt durch die ersten Szenen. Eine lange, breite,
purpurrote Schärpe, deutet das nahende Verbrechen an König Agamenon an,
gleich einer künftigen Blutspur. Königin Klytaimestra macht ihren Buhlen
Aigisth durch Meuchelmord zum neuen Herrscher, er tritt in einem
purpurroten, übergroßen Königsmantel auf. Später wird dem Muttermörder
Orest von seiner Schwester ein roter Mantel umgehängt.
Elemente des griechischen Schauspiels wie der Chor werden verfremdend
übernommen, die surrealistischen Kostüme der Schauspieler führen in eine
imaginäre, unwirkliche Welt, einem bösen Traum gleich. Gott Apollo und
Göttin Athene treten auf Plateauschuhen auf, so wie es im klassischen
griechischen Theater für alle Schauspieler üblich war.
Erstaunlich der Aufzug von Orest, er scheint aus einer anderen Welt zu
kommen, in Kniehose, Burlington Socken und Sakko, mit weißer Lilie in der
Hand, bevor er zum Mörder wird.
Phantastisch überraschend gelöst ist das Auftreten der Erynnien.
Klytaimestra muss die schlafenden Rachegeister erst zum Leben erwecken, da
sie sich nicht genügend gerächt fühlt. Nun heben sie laut klagend an, mit
Trompeten, Klanghölzern, Trommeln und Schellen, heftig drohenden Gebärden,
Gesten und Mienenspiel den fliehenden Orest durch das alte Griechenland zu
hetzen.
Im dritten Akt nun ist der Käfig verschwunden, einem Gerichtsplatz
gewichen. Apoll argumentiert gegen die rachedurstigen Erynnien, bis die
Göttin Athene auf die Idee kommt, eine Versammlung einzuberufen, die
(erstmals?) demokratisch über Schuld und Sühne bestimmen soll.
Die Aufführung überzeugt in ihrer Symbolhaftigkeit der verwendeten
Mittel, einem lebenden Bild vergleichbar. Von fern anklingende
Sphärenmusik kündet von der bevorstehenden Tragödie.