Warum nicht eine Frau?
Ich habe
in Österreich noch nie gewählt. Entweder war ich zu jung dazu,
oder im Ausland.
Um ganz
ehrlich zu sein muß ich zugeben, ein paarmal versucht zu haben
zu wählen. Einmal scheiterte ich an der Ausrede einiger hier
in Salvador, Bahia, Brasilien lebenden Österreicherinnen, die
ich bat, als Zeuginnen zu fungieren. Ich zweifelte keinen
Augenblick daran, daß sie befürchteten, ihr im Reisepaß
eingetragenes Geburtsdatum und damit ihr Lebenalter
preiszugeben... Ein anderesmal klappte irgendetwas mit dem
Konsulat nicht, und nachdem ich aus der alten Heimat erfolglos
einen Wahlzettel verlangte, beendete ich meine Laufbahn als
Wähler.
Von
weitem, in Online-Zeitungen schnüffelnd interessiere ich mich
eher für Sportnachrichten und Wetterberichte - die ich meist
nicht ohne Schadenfreude verfolge - als für die politische
Szene. Die Nummern des Schi-Nationencups möbeln mein
Selbstwertgefühl auf, die kleinen Wehwehchen aus der
regionalen Spalte erheitern mich.
Plötzlich
bleibt mein Blick auf einer Politik-Überschrift hängen. Es
soll heuer, so lese ich, eine Frau Bundespräsidentin werden
wollen.
Warum
nicht? Sind denn nicht bereits unsere heiligsten Tempel von
allen möglichen Exoten unterwandert worden? Asiaten sitzen
hinter den ersten Pulten im Symphonieorchester. Unlängst
erlebte ich einen Schwarzen als Zarastro. Vor Jahrzehnten
hätte ein Farbiger in Österreich höchstens als Monostaos
auftreten dürfen... Sang nicht erst vor kurzem eine
amerikanische Opernsängerin in rotem Kleid alpenländische
Weihnachtslieder? Wurde damit unser vorurteilsteinges Weltbild
nicht zu sehr strapaziert?
Wer von
uns Österreichern sieht in einer Frau Bundespräsident nicht
sogleich eine „Hosenrolle“? Österreicherinnen vielleicht eher
als österreichische Männer. Schwarze wählen auch lieber einen
Weißen, als einen anderen Afro-Brasilianer. Lieber gemeinsam
unter der Knute eines weißen Sklaventreibers leiden, als beim
Aufstieg eines Gleichgestellten zusehen zu müssen...
Es geht
hier nicht um eine Bundeskanzlerin und Regierungschefin, wie
es sie in der Person der von mir über alles gehassten Margret
Thatcher gegeben hat, sondern um eine Frau Bundespräsident.
Frau
Ferrero-Waldner hat zwar das Eisen im Namen, mit jenem
britischen Drachen aber sonst bestimmt nichts gemein. Genau
genommen bedeutet Ferrero nicht Eisen sondern Schmid und
Spengler. Mir ist schon der Name sympathisch, denn es gehört
zur Aufgabe eines österreichischen Bundespräsidenten, in eine
fast erloschene Glut zu blasen, diese erneut zum Glimmen zu
bringen, Bemühungen verschiedener Institutionen
zurechtzubiegen und Geistesfunken sprühen zu lassen. Außerdem
kann meiner unbescheidenen Meinung nach nur eine Frau einen
als männliche Logik getarnten Stumpfsinn entlarven und
bloßstellen. An „Nieten“ wird es der Frau „Spengler“ bestimmt
nicht fehlen...
Dieser
Text kann nur von jemandem geschrieben worden sein, der wie
ich keine Ahnung vom aktuellen Politikgeschehen Österreichs
hat. Hier in meiner brasilianischen Wahlheimat fehlt mir
selbst das alltägliche Hörensagen, Kommentare, die man so auf
der Straße auffängt. Ähnlich dürfte es Europäern ergangen
sein, als 2002 der ehemalige Dreher und Gewerkschaftler Luis
Inácio Lula da Silva zum brasilianischen Bundespräsidenten
gewählt wurde.
Möglicherweise ist es sogar gesund, ab und zu an veralteten
Paradigmen und Vorurteilen zu feilen, bevor unser Weltbild mit
schlimmeren Figuren verschandelt wird. Nicht nur in der
parallelen Wirklichkeit Hollywoods und Umgebung wie Washington
DC , sondern auch bei uns daheim.
Reinhard Lackinger,
Dorfzeitung
Salvador, Bahia, Brasilien, 19. Jänner 2004
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