Von Advent nach Weihnachten

Von Helmut Guggenberger

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Auch wenn die Geschichte um die Weihnachtszeit im Stille Nacht – Ort Oberndorf endet, angefangen hat sie mitten im Advent in den Donauauen bei Bratislava.

Nicht der  herbstliche Reiz des unberührten Auwaldes hat uns dorthin gebracht, sondern eine Verpflichtung ganz anderer Art. Nur ortskundige finden die Stelle, wo sich hinter modernden Baumriesen eine kleine Lichtung auftut, zerwühlt von Wildschweinen und offensichtlich auch von systematischeren Grabungen und unvermutet am düsteren Ort ein kleines Holzkreuz mit Inschrift. Hier ein kleines Lichtchen in die vorweihnachtliche Düsternis zu stellen sind wir von  weit angereist.

Ilia & Chesy

Ursache für die etwas jüngere Vegetation an diesem Fleckchen Au war ein im vorletzten Kriegsjahr abstürzendes Messerschmitt-Jagdflugzeug eines deutschen Jagdgeschwaders. Hier also das eigentliche Grab des Vaters meiner Frau, jung und voller Zukunftspläne war ihm nicht gegönnt, die Geburt seiner Tochter zu erleben.

Unser mittlerweile zum Freund gewordener Führer, Jan Babincak, hatte nach jahrelanger Nachforschung Absturzstelle, Flugzeugführer und schließlich auch noch uns als Nachfahren ausfindig gemacht. Wir sehen, dass auch ihm die Orientierung nicht leicht fällt, mühen uns aber zuversichtlich durch Sumpf und Urwald.

Schließlich doch am gesuchten Ort wird das Licht angezündet, nachgedacht, herumliegende Wrackteile fachmännisch erklärt.

Erst ein kurzes aufgeregtes Bellen schreckt uns auf und macht klar, dass unser Eurasierrüde Ilia anderes interessanter findet. Ein kurzes sich entfernendes Rascheln, dann ist wieder alles still. Rufen, Pfeifen bleibt ohne Erfolg. Nachsuchen sowieso sinnlos, wir müssen achten, selbst wieder den Weg zum Auto zu finden. Das trauen wir auch dem Hund zu, ist ja schon öfter vorgekommen, dass er nach Ausreißern unschuldig beim Auto gewartet hat.

Diesmal nicht. Also warten wir. Eine Stunde - dann wird es dunkel. Immer wieder Rufen, Hupen,  alles nocheinmal abfahren. Ohne Erfolg. Jetzt ist eine Entscheidung fällig, wir müssen unseren Führer nach Bratislava zurückbringen, also den Ort verlassen. Wir tun´s mit schlechtem Gewissen, kommen bei Einbruch der Nacht nocheinmal an den Zufahrtsweg zurück. Jeder Strauch scheint sich zu bewegen, in jeder Lücke wird gesucht – kein Hund.

Diese Abfahrt wirkt noch entscheidender – diesmal nach Wien, wo wir bei unserem Sohn übernachten. Alle Pläne geändert, wieder zurück nach Bratislava, organisierte Suche, Befragung von Nachbarn, Jägern, Tierheim.

Ängstliche Gedanken überborden, man hat uns gesagt, dass viele Jäger unterwegs seien und streunende Hunde hier nicht geduldet werden – man würde auch kaum etwas erfahren.

Oder Wildschweine, vielleicht ist er verletzt oder hat sich irgendwo im sumpfigen Gebüsch verklemmt.

Die Suche muss abgebrochen werden – eine herzzerreißende Entscheidung. Was sagen wir unseren Enkelinnen zu Hause, wie werden wir es selber verkraften? Nur wenig Hoffnung bleibt, übermorgen ist Montag, dann werden wir von Oberndorf aus die möglichen Kontaktadressen anrufen.

Montag, Dienstag, Mittwoch – keine Erfolgsmeldung. Am Wochenende macht sich unser Sohn von Wien aus nocheinmal auf die Suche, befragt Anwohner, Jäger, Spaziergänger, hinterlässt seine Telefonnummer wo irgend möglich. Unser Freund Babincak hat Plakate angefertigt und hängt sie in der Umgebung auf. Es gibt keine Meldungen.

Zehn Tage sind nun vergangen, der Abschiedsschmerz wird zur Gewohnheit. Mit eher schlechtem Gewissen nähren wir eine Hoffnung: Ilia war zur Deckung zugelassen und in den nächsten Tagen werden wir erfahren, ob sich Nachwuchs einstellt. Dann haben wir zwar nicht Ilia wieder, aber vielleicht seine Tochter oder seinen Sohn.

 Dann am elften Tag ein Anruf vom Gemeindeamt Oberndorf: Einer Familie in Hamuliakovo, ca 20 km südlich von Bratislava sei ein Hund zugelaufen. Sie haben zwar selber eine liebe kleine Hündin, haben sich aber vor dem großen fremden Hund etwas gefürchtet. Erst als sie merkten,  dass sie - ohne gefragt worden zu sein - von dem neuen Hund adoptiert worden sind, haben sie Zutrauen gefasst, ihn weiter gefüttert und jetzt auch näher untersucht. Dabei fand sich die Hundemarke und über Bekannte in Wien konnten sie klären, was „Oberndorf Nr. 9“ bedeuten könnte.

Noch am selben späten Abend hatten wir uns bis Hamuliakovo durchgefragt, dort fanden wir das beschriebene Haus nicht gleich, das war auch nicht nötig. Ilia kam gerade mit dem Sohn des Hauses vom Spaziergang zurück, erkannte unser Auto und riss alles nieder, was ihn von uns noch trennte. Jetzt weiß ich, was aus abgrundtiefer Seele zu jaulen heißt.

 Traurig war die Adoptivfamilie. Man hatte seine Pflicht getan, aber mit ein bisschen Hoffnung, dass die Nachfrage nicht erfolgreich sein würde.  Aber für uns war jetzt Weihnachten. Und weil wir jetzt wissen, dass Ilia drei kuschelige Töchter und vier wollige Söhne gezeugt hat, gibt es ja auch Hoffnung für seine Adoptivfamilie.

 

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