Churrasco  

Von  Reinhard Lackinger

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-         Iß doch langsam, Paul. Mein Gott, was sich Gerda alles auf den Teller geladen hat. Dennis, stopf dir doch nicht so viel Erdäpfelmayonaise in den Mund. Am besten, ihr ahmt mich nach. Du auch Gunda. Nur nicht voreilig sein mit dem Reis, den Bohnen, den Spaghetti. Während wir auf die Burschen mit dem Spieß warten, wollen wir lieber kleine Leckerbissen verkosten. Käsebrot, Wachteleier, Spargel,  Palmenmark, schwarze Oliven. Maßhalten mit den Beilagen. Hier hat gegrilltes Fleisch Vorrang. Würstchen und Grillhühnchen, Truthahn mit Bacon umwickelt, Schweinsrippchen und Lende, Hühnerherze, Ochsenrippen, Lungenbraten und schließlich die noblen Teile des Tafelspitzes, alcatra, maminha und die picanha, mit ihrer zolldicken Fettkruste. Letztere in U-Form auf den Spieß gefädelt, innen rot, handtellergroß, außen gelber Rand. Der Mann mit dem Spieß schneidet euch von allem so viel herunter, wieviel ihr vertragen könnt. Deshalb langsam mit den Erdäpfeln, mit dem Reis. Wir wollen dem Wirt nichts schenken. Egal ob sich jemand nur mit Salaten befriedigt, oder ein halbes Rind verdrückt, der Preis beim churrasco de rodízio, wie diese pauschale Speisen hierzulande genannt wird, ist der selbe, und die Burschen mit ihren Spießen kommen immer wieder. Sie kommen so lange wir in der Lage sind, Fleisch in uns zu stopfen. Iß deshalb langsam Paul. Gerda, Dennis und Gunda, wir wollen uns doch mit den Beilagen nicht den Appetit verderben. -  

 

          Ich genoß den Moment, der den lieben Touristen aus meiner alten Heimat zuteil wurde. Verklärt harrten sie dem Nahen des Spießes. Konzentrierte Blicke beobachteten mit anerkennendem Nicken und wässrigem Mund die geübte Hand die das Messer führte und sorgfältig die von uns geforderten Fleischstücke auf die jeweiligen Teller lud. Unser Durst gab dem Bier trotz der Mittagshitze keine Möglichkeit warm zu werden. Die leeren Styroporhüllen warteten auf neue Flaschen.

 

          Ich bewunderte den Heißhunger, mit dem sich die vier Reisenden über meine exotische Wahlheimat stürzten und freute mich darüber. Kaum verstellten ihnen die eigenen Koffer und Bündel frühmorgens das Hotelzimmer, hemmten ihre Schritte, drängten sie auch schon hinunter zum Meer. Was mir als nächstes ungewöhnlich vorkam war, daß sie auch ins Wasser tauchten und schwammen. Die Arme weit ausholend, mit den Beinen strampelnd, zogen sie ihre Bahnen zwischen die statisch und knieweich im Seichten verharrenden Einheimischen in Richtung Horizont, bis sie, von weitem winkend, zurückzuschwimmen begannen...

 

          Kokoswasser, Bier, caipirinha, sie mußten alles haben. Auch gemietete Liegestühle aus Stahlrohr und Leinen, sowie einen Sonnenschirm. Einen gelben mit blauer Kennummer.

 

          Plötzlich eine beklemmende Stille rings um uns. Die vor Salzwasser triefende Gunda hatte sich das Badehandtuch um den Körper gewickelt, wand sich darin wie eine Anakonda, die eben dabei war, ihre Haut zu wechseln. Genau genommen handelte es sich nicht um Gundas Epidermis, sondern um ihren nassen Bikini. Ihre schneerosenweisse Hinterbacken blitzten für einen Augenblick in die dunkelhäutige Umwelt, ehe das trockene Höschen die jähe Blöße zum Erlöschen brachte. Eine Prozedur, die bei Badefreuden an einem Almsee sinnvoll sein dürfte, an jenem Palmenstrand, bei lauem Wasser und heissem Sand jedoch völlig unangebracht schien. Fragen, die sich Alpenländer wahrscheinlich nie stellten, die nicht selten sogar bei tropischer Hitze ihren hygienischen Bedürfnissen aus den temperierten Regionen Europas treu blieben... Was in der Folge an Lenden, “Tafelspitz” und Heuschobern unter Badetüchern und Strandkitteln zum Vorschein kam, versuchte ich keusch zu ignorieren und tat, als gehörte ich nicht zu den vier Badenden. Die vom Gerüst des Sonnenschirmes baumelnden, nassen Badehosen und Bikinis erinnerten mich an Schrumpfköpfe, an Dörrfleisch.

 

          Die uniformierten Spießträger kamen, gingen weiter, wandten sich an die Gäste an den Nachbartischen. Von Mal zu Mal wurden die Blicke kritischer, zeigten genau den Punkt auf dem Fleischklumpen an, von dem sie einen Streifen geschnitten haben wollten. Im Nu verstanden sie, daß die angebratene Außenseite salzig, die darunter befindliche Schichte mehr nach Fleisch schmeckte. Außen das grobe Salz, innen die dunkelrote Gewißheit in “bleu”. Zdenek, der von allen Dennis genannt wurde, mochte nur “carne bem passada”, also durch und durch gebratenes Fleisch auf seinem Teller. Die anderen waren gelehriger. Das zarte Filet mignon schmeckte ihnen besser als die festere, knusprigere “picanha”.

 

          Von der überdachten Terrasse der Churrascaria Gaúcha, des Pauschalpreis Steakhauses beobachteten wir zwischen einem Bissen oder einem Schluck, die farbige Menschenschar auf der Straße, am nahen Strand. Jedermann in Badekleidung. Zu Fuß, per Fahrrad, mit nacktem Oberkörper auch im Auto. Die äußerst gewagte Strandmode zeigte mehr als sie verhüllte. Details, die die Anatomie der afrikanischen Etnien geschickt zu unterstreichen verstand. Die winzigen Stoffstückchen verdeckten lediglich die Mamillen der braunen Schönen, an den “pays bas” nur das Essentielle. Die “Zahnseide” vervollständigte den Unterteil… am Hinterteil… Die sanft in die Fettgewebe einschneidenden Elastikbänder und Schnüre gaben ein Zeugnis über die Konsistenz des Fleisches. Erfahrungen aus der Zeit der geraubten Küsse, der “mão boba”, der sogenannten “dummen Hand”, die wie ein Prüfgerät auf die Suche ging. Wie ein Blinder die Reize der “morenas” abtastend, suchend und fühlend. Die Last der Finger und Handflächen verringernd, um gleich darauf wieder fester zuzupacken. Ein stummes, einsames Kneten. Kindliche, hormonbetriebene Neugier, ohne Anspruch auf Zuneigung, auf Liebe. Die auf diese Weise angesammelte Vertrautheit mit dem weiblichen Körper orientierte weiterhin meine Augen. Diese verstanden es noch heute, die sanften Rundungen präzise auszuloten, weichere von weniger weichen Körperteilen zu unterscheiden.

 

          Ein kurzer Blick auf den Spieß und ich wußte sofort, ob es sich lohnte, den Burschen noch einmal herbeizuwinken. Der Glanz der mit Baconstreifen umwundenen Medaillons aus Filet Mignon, die goldene Haut des Hühnerbeines, das satte Gelb der Fettschicht der “picanha”. Der Mann mit dem Spieß stupste den Fleischklumpen mit der Spitze des Messers an. Meine Augen  überprüften den elastischen Widerstand des gebratenen Ochsenmuskels. Ich lehnte dankend ab. Ich wurde immer wählerischer, lehnte mich öfter zurück, nahm einen Schluck Bier und ließ den Blick auf das Meer hinausschweifen, auf die Schaumkronen, die Wellenreiter. Die glatte dunkle Haut, das feste Fleisch der schwarzen Mädchen, Mulattinnen und “morenas” auf dem Gehsteig nahmen meine Aufmerksamkeit bereits weit mehr in Anspruch, als die an Spießen herbeigebrachten Stücke gebratener Ochsen.

 

          Dennis küßte seine Gunda auf die rotgebrannte Schulter und meinte, sie hätte unbedingt ein Sonnenöl mit höherem Schutzfaktor wählen sollen. Sein Gesichtsausdruck und die Zunge, mit der er flüchtig über seine Lippen fuhr verriet mir, daß Gundas Haut noch salzig war. Die vier weitgereisten Besucher Brasiliens schienen trotz der Oberflächlichkeit der Dinge, die sie bisher in Salvador, Bahia sahen und taten, zufrieden zu sein. 

 

-         Wenn ihr von der langen Flugreise, vom Baden im Meer und vom Churrasco noch nicht allzusehr mitgenommen seid, können wir am Abend noch die Strandstraße in Richtung Itapuã hinausfahren. Ich kenne da ein Restaurant, wo wir gekochten Tintenfisch und zarte Muscheln essen, oder rohe Austern schlürfen können...

 

  

Churrasco ist ein brasilianisches Wort und bedeutet Spießbraten.

 

Copyright by  Reinhard Lackinger

Beim nächsten Brasilienurlaub bitte unbedingt das

Bistro PortoSol in Salvador, Bahia aufsuchen.

Bratwürste mit scharfem Senf, Salate und gutes Bier...

 Prost und Guten Appetit

 der Wirt

 Reinhard

 

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