Schau wie schön!

Von Reinhard Lackinger, Salvador, Bahia, Brasilien

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Nach dem sechsundzwanzigsten Schau Wie Schön horchte ich auf. Es kann natürlich auch das einunddreißigste Mal gewesen sein, daß ich an jenem Tag diese Interjektion über mich ergehen lassen mußte. Das Wetter war phantastisch. Für einen Frühlingstag sogar um einige Grad zu warm. Der Himmel war wolkenlos, der Tank bis oben voll, und in meinem Magen regte sich sogar schon wieder ein leiser Appetit.

 

Nicht nur mein ursteirischer Dialekt ist trotz jahrzehntelanger Abwesenheit von der Heimat unverändert an mir haften geblieben. Ebenso verhielt es sich mit meinem Gusto auf einen bodenständigen Schweinsbraten, auf eine pralle Blunzen, auf saftige, würzige Bratwürste, auf ein durchspicktes Geselchtes mit Sauerkraut und Erdäpfeln. Am liebsten war es mir, wenn gleich alles und in einer großen dampfenden Schüssel auf den Tisch kam.

Just an jenem wunderschönen Lenztag wurde mir der Appetit langsam aber sicher ausgetrieben. Je öfter ich den jubilierenden, beinahe jauchzenden Aufruf Schau Wie Schön hören mußte, desto mehr wandelte sich meine Stimmung. Ich wollte, ich hätte die Meinung der anderen mit gleicher Inbrunst teilen können. Ich konnte aber nicht. Ich wollte, ich hätte an jenem lauen Frühlingstag das betörende Schauspiel der Natur und der von Menschenhand vollbrachten Wunder mit gleicher Lust preisen können wie meine inlandsösterreichischen Lieben. Es war mir unmöglich. Obwohl ich es von ganzem Herzen meinen Lieben zu Liebe getan hätte, ich konnte nicht aus meiner auslandsösterreichischen Haut heraus... Natürlich war um mich herum alles wunderschön und lieblich. Die Blumen auf den Wiesen, die fröhlich summenden Insekten, die verschieden grünen Wälder, die Küah und die Kalm und die... Alles war herrlich und verdiente es, gelobt zu werden. Dennoch wuchs mit jedem Schau Wie Schön mein Unbehagen.



Während meine Mutter andauernd vom vielen Grün sprach, durch das wir fuhren, bemühten sich Stephanie und Leopoldine um meine Frau Alice. Die Bank hinter mir schien einem Hochsitz zu gleichen. Kaum erspähten Steffi oder Poldi etwas Interessantes, riefen sie auch schon im Chor: Schau Wie Schön! Schau Alice! Schau Wie Schön! Fuhren wir an einem Haus vorbei, dessen Balkon nicht bloß mit Blumen überladen war, sondern buchstäblich vor ihnen strotzte: Schau Wie Schön. Erblickte man an der nächsten Kurve einen Zwiebelturm und die Dächer eines kleinen Dorfes, eingebettet im saftigen Grün der Umgebung wie Ostereier im Garten: Schau Wie Schön!    
      

Die Welt ist tatsächlich groß und schön. Das scheint aber nicht nur von der jeweiligen Aussicht abzuhängen, sondern auch von der Ansicht des Beobachters... 


Als Steffi und Poldi mit meiner Mutter bei uns in Bahia auf Besuch waren, schienen sie von unseren tropischen Naturschönheiten nicht besonders beeindruckt. Obwohl wir uns alle Mühe gegeben haben, ihnen Salvador, meine Wahlheimat, aus den besten Blickwinkeln zu zeigen, wir konnten zu unserem Verdruß keine befriedigende Anerkennung ernten. Sie schienen von keiner landschaftlichen oder baulichen Attraktion besonders berührt. Und wenn sie schon einmal Interesse an irgendetwas zeigten, war es stets das falsche Bauwerk, ein vergoldeter Altar, ein Seitenaltar, oder sonstige Nebensächlichkeiten... Kein Schau Wie Schön weit und breit. Alice und ich ertappten uns dabei, wie wir den lieben weisshäutigen Touristinnen unsere brasilianischen Sehenswürdigkeiten förmlich aufzudrängen suchten. Hier eine Festung am ölklumpenlosen Strand, dort ein Palmenhain am grünlichblauen Meer, das größte und bedeutendste Ensemble barocker Architektur Südamerikas, 365 Katholische Kirchen, Klöster, noch jede Menge Kokospalmen, üppig blühende  Hibiskussträucher, Alleen, unzählige hypermodere Hochhäuser, Shopping Centers, Museen, noch mehr Palmen, Mangabäume und Kolibris.. Alles überhaucht vom angenehmsten Klima das die Erdkugel zu bieten hat und unter einem Himmel für Brigadegeneräle, wie man in Brasilien zu sagen pflegt. Vergeblich! Obwohl unsere Augen wie die Saugnäpfe eines liebestollen Tintenfisches auf allen sehenswürdigen Orten und Gebäuden hafteten, wie wir glaubten, daß Steffis und Poldis Augen daran haften müßten, wir konnten sie nicht beeindrucken. Nicht einmal der wunderschöne Sonnenuntergang am Meer bei eiskaltem Kokoswasser aus der grünen Nuß, brachte sie nicht aus der Fassung. Sie schienen gegen tropische Naturschönheiten geimpft zu sein...    



Daß meine alte Mutter von Brasilien nie besonders begeistert war, konnte ich verstehen. Jede Mutter dürfte das ferne Land hassen, das ihr den Sohn entrissen hat. Warum aber die beiden anderen dem Zauber Bahias nicht unterlagen, war mir ein Rätsel. Wollten Steffi und Poldi meiner Mutter, die sogar während des Höhepunktes der bunten Folkloreshow  demonstrativ schnarchte, Solidarität bekunden? Gewiß nicht. Es mußte für diese rätselhafte Interesselosigkeit ein anderer Grund vorliegen. 

Im Gespräch mit Alice kam ich schließlich zu folgendem Schluß: Steffi und Poldi waren Lehrerinnen. Aus eigener Erfahrung wußte ich, daß österreichische Pädagogen einen sehr großen Wert auf  “die äußere Form der Arbeiten” legten. Schlampig hingefetzte Schriftzüge waren verpönt, auch wenn sie interessante Beobachtungen enthielten. Schönschrift war angebracht und wurde dementsprechend belobt. In Bezug auf diese “äußere Form”, verdiente Salvador wirklich keine bessere Note als 3 bis 4. Stellenweise höchstens 4 bis 5, wenn nicht gar eine 6.

Das war es! Mängel und Makel meiner mehr als exotischen Wahlheimat, drängten sich andauernd vorlaut und ungeniert in jedes Bühnenbild. Die schreiende Armut des Volkes, die zahllosen Beispiele der mangelhaften Urbanisierung, der Dreck auf der Straße, die unverputzten Ziegelwände, sowie die vielen nackten schwarzen Kinder, die uns an jeder Ampel bettelnd ihre schwarzen Patschhändchen entgegenstreckten, oder die Windschutzscheibe verschmierten. Was hilft das laue kristallklare Meerwasser und der feine Sandteppich unter den Fußsohlen, wenn man den Strand mit Straßenkindern teilen muß, die statt ordentlicher Badekleidung  einfach nur Unterwäsche tragen. Die sich johlend neben uns im Sand wälzen, wie panierte Engerlinge. Salvador, Bahia, Brasilien ist nach solchen Maßstäben für mitteleuropäische Vorstellungen einfach zu exotisch. Man sieht das Leben vor lauter Menschen nicht. 


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Die baianische Gesellschaftsunordnung verträgt sich nicht mit der heilen Welt der Österreicher. Der Tourist wendet sich beklommen ab und widmet sich lieber den obligaten Sehenswürdigkeiten der vergoldeten Franziskuskirche und derlei Firlefanz, über die er im Reiseführer nachlesen kann. Ich wollte den Damen einen Baum zeigen, der einem Loch im Dach entwuchs, da wurden wir wiederum von bettelnden Kindern bedrängt. Weg war das Interesse an dem wunderlichen Baum, diesem Beispiel von unerhörter Lebenskraft der Natur, die so symbolisch für das ganze Land ist. Es blieb nur der Ärger über die kleinen schwarzen Nackedeis, die uns mit großen hungrigen Augen anflehten. Wir verscheuchten sie so gut es ging. Ein Ekel reflektierendes Antlitz verlieh unseren Gesten den nötigen Nachdruck... Plötzlich erblickte Steffi im Schatten einer barocken Ruine eine Katze. “Schau ein Katzerl!”, rief sie aus. “Schau doch das arme Katzerl! Mein Gott, ist es nicht reizend?” 

Wenn wir, meiner Mutter, Steffi und Poldi während der strapaziösen Stadtbesichtigungen in Salvador, Bahia, Brasilien, auch sonst kein Schau wie Schön entreissen  haben können, dann wenigstens ein “Schau ein Katzerl...” Gott belohne das Kätzchen mit einer fetten Ratte.

ADE FAVELA - aus dem Alltag Brasiliens
1998 bei Leykam, Graz
ISBN 3-7011-7375-3
Fotos: http://www.acasadopeu.combr.net/album.htm 

 

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