Die Tschikweiber von Hallein |
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Frauenarbeit und Frauenalltag: Ein
„un-gewöhnliches“ Beispiel aus den Dreißigerjahren. Lebens- und Arbeitsalltag in einem
Kulturmagazin? – Ja. – Denn: Ganz bewußt wird in diesem Beitrag von
einem Kulturbegriff ausgegangen,
der weiter reicht als bloß hinauf in „Höhen des Schöngeistigen“, in
die hehren Gefilde der „großen Werke“. Dagegen gesetzt sei eine
Sichtweise, die Kultur als Ausdruck der jeweiligen Lebensbedingungen
versteht; als nicht nur ästhetische, sondern vor allem auch
lebenspraktische Bewältigung vorgefundener Lebenschancen – und die
waren weiß Gott nicht für alle gleich. Wie wurde und wird alltäglich gelebt
und gearbeitet, gewohnt, gegessen, gefeiert und geliebt? Wie werden die
Kinder erzogen, wie wird die Freizeit verbracht? Welche Hoffnungen,
Gedanken und Wünsche haben die Menschen in ihren Köpfen? – Das sind
meine Fragen auf der Suche nach Spuren von Alltagskultur. Und: was
entsteht - in Reaktion auf die konkrete, täglich hautnah zu bewältigende
Lebenssituation – an Überlebensstrategien und Widerstand, an Solidarität
und Zivilcourage, an aufrechtem Gang und Eigen – Willigkeit, an
Selbstbewußtsein? In
der Folge ein – historisches – Beispiel meiner Spurensuche: „Die
Tschikweiber sind ja berühmt gewesen ...“, heißt es heute noch in
Hallein über die Arbeiterinnen der ehemaligen Zigarrenfabrik. Schon 1940
wurde sie von den Nationalsozialisten geschlossen und in einen Rüstungsbetrieb
umgewandelt. Trotzdem: Im Bewußtsein der Arbeiterstadt sind die
Zigarrenfabrikarbeiterinnen nach wie vor präsent – als „resolute
Frauen“, die, so der Halleiner Originalton, bekannt waren für „ihr
gutes Mundwerk“. Als Arbeiterinnen mit solidarischem Zusammenhalt und
dichter gewerkschaftlicher Organisierung: „Die waren von allen Bertieben
am besten organisiert“, erinnert sich ein alter Halleiner, „und am 1.
Mai sind sie aufmarschiert, der ganze Rudel: Es waren ja ein paar hundert
Frauen in der Fabrik. Auch wenn es sonst etwas gegeben hat – eine
Teuerung eingetreten ist, oder wie das Gerücht aufgetaucht ist, daß die
Saline geschlossen werden soll -, ist aufmarschiert worden, mit Kind und
Kegel. Die meisten waren Sozialistinnen, durch und durch. Wenn ich an die
Mali denke, die hat – das war dann schon in den Dreißigerjahren, wie
die Heimwehr mit `Bajonett auf´ in Hallein herumgeteufelt ist – auf der
Stadtbrücke die Bluse aufgerissen und gerufen: ´Das stechts her!´ Und
wer hat 1934, wie´s in Wien drunten so gewirbelt hat, bei uns gestreikt?
– Wieder die Frauen aus der Zigarrenfabrik ....“ Auch als „Frauen, die Geld gehabt
haben“, werden sie erinnert. „Die waren begehrt bei der Männerwelt,
weil sie gut verdient haben. Es waren ja alle froh, wenn sie eine erwischt
haben, die noch ein paar Groschen heimgebracht hat. Weil sie alle
arbeitslos waren, die Männer, und
weil sie – in der Zellulosefabrik oder als maurer – oft nur einen
Schmarrn verdient haben. Also, wenn einer eine erwischt hat, die in der
Zigarrenfabrik war und Geld heimgebracht hat, dann hat er zugegriffen.“ Das
paßte so gar nicht zu dem, was damals wie heute – durch die „bürgerliche
Brille“ gesehen – als angeblich „natürliche“ Rolle der Frau
propagiert wurde und wird. Hier der berufstätige Mann, der die Familie
ernährt- Dort die Hausfrau und Mutter, die aufgeht in der Erfüllung
„ihrer“ Aufgaben im Haushalt und beim Erziehen der Kinder. In der Arbeiterstadt Hallein, die –
nahe und doch in augenfälligem sozialen Kontrast zur erzbischöflichen
– barocken Bürgerstadt Salzburg – einer der wenigen Salzburger
Industrieorte war, fehlte für solche Anleihen beim bürgerlichen
Familienmodell weitgehend die materielle Basis. Und, die Zustimmung vieler
Arbeiterfrauen. Die „Provinzlöhne“ waren niedrig, und das nicht erst
in den wirtschaftlichen Notzeiten der Dreißigerjahre. Auch das Gespenst
der Kurzarbeit drohte in den krisenanfälligen Halleiner
Industriebetrieben recht kontinuierlich. Mit einem – noch dazu stets
unsicheren Verdienst – wäre also eine Arbeiterfamilie damals ohnehin
nicht über die Runden zu bringen gewesen. Zudem waren es in nicht wenigen
Familien das Halleiner Arbeiterschaft die Frauen, die – in seltener
Umkehrung der üblichen Erwerbsarbeitsrealität – die besseren Arbeitsplätze
hatten. Wie gesagt, jene in der Zigarrenfabrik. 1869
war die Zigarrenproduktion in Hallein aufgenommen worden und die weibliche
Arbeitskraft hatte den „Arbeitgeber“ Staat vor allem deshalb
interessiert, weil sie billiger war. Und, wie man hoffte, williger und
leichter zu disziplinieren. Für das Drehen, Spinnen, Sortieren und
Verpacken der Zigarren setzt man seither auf die angeblich geschickteren Hände
der Frauen. Die Kontrollpositionen – vom Werkmeister aufwärts – waren
natürlich mit Männern besetzt. Also wie gehabt, ein Frauenbetrieb in Männerhand.
Auch mit dem üblichen fabrikinternen Gefälle zwischen Männer- und
Frauenlöhnen. Und trotzdem: Mit ihrer geschlossenen
und offensiven gewerkschaftlichen Organisation hatten die Arbeiterinnen in
den österreichischen Tabakfabriken Arbeitsbedingungen durchgesetzt, die für
die zwanziger und frühen dreißiger Jahre relativ privilegiert waren.
Nicht selten verdienten sie mehr als ihre Männer in anderen Halleiner
Betrieben. „Jede von uns war glücklich, wenn sie in der Tabakfabrik
untergekommen ist und so einen guten Arbeitsplatz gibt man nicht so
schnell wieder auf „, erzählt eine heute 86 jährige Arbeiterin, die,
wie die meisten anderen auch, bis zu ihrer Pensionierung in der Fabrik
geblieben ist. Trotz der zusätzlichen Belastungen in Haushalt und
Familie. „Ich bin froh, daß ich immer arbeiten gegangen bin. Denn wenn
man halt selber einen eigenen Schilling hat, ist man unabhängiger. Man
tut sich leichter, man kann sich besser rühren, man steht auf ganz
anderen Füßen, als wenn man nur auf den Schilling vom Mann angewiesen
ist.“ Meist
hatten deshalb schon ihre Mütter und Großmütter in der Fabrik
gearbeitet und ganz gezielt versucht, immer auch möglichst viele andere
weibliche Verwandte dort unterzubringen. „Meine Schwägerin hat immer
gesagt: Ich bring dich auch rein, in die Fabrik. Da verdienst du etwas.
Als Zigarrenfabriklerin, da bist wer.“ Dieses Selbstbewußtsein bezog sich
auch auf ihr Eingebundensein in jenen solidarischen Zusammenhalt, der seit
mehreren Arbeiterinnen Generationen in der Fabrik gewachsen war; als bewußt
gesetzte Gegengewicht zum unpersönlichen, konkurrenzhältigen,
versachlichten Mit- und Gegeneinander, welches das Fabrikssystem
prinzipiell nahelegt. Und: als Abwehr gegen die porenlose Vereinnahmung
ihrer Arbeitskraft unter den Bedingungen fremdbestimmter Akkordarbeit. 600
Zigarren pro Tag hatten sie herzustellen, meist noch in Handarbeit. Ein über
diese Mindestleistung hinausgehendes „Mehr“ an Zigarren hätte zusätzlichen
Lohn gebracht. Nur: „Das hat keine getan, daß sie mehr abgegeben
hat.“ Sehr
bewußt haben sich die Arbeiterinnen dem individualisierenden
Leistungs-Anreiz-System entzogen, wohl wissend, daß ein ständiges Überschreiten
der Akkordvorgaben sehr schnell eine – die Arbeitssituation verschärfende
– Anhebung der „Normalleistungen“ nach sich gezogen hätte. Aber
auch aus aktiver Solidarität mit leistungsschwächeren Kolleginnen wurde
die Akkordlogik „Zigarre = Geld“ durchbrochen: “Wenn eine nicht gut
beisammen war oder wenn sie ein seelisches Leid gehabt hat und mit der
Arbeit nicht zusammengekommen ist, weil der Kopf ganz woanders war, dann
ist es oft vorgekommen, daß ihr die Andere aus ihren Vorrat Zigarren
geschenkt hat. Oder sie hat gesagt: Geh her, ich dreh die ein paar ...“ Hinter dem selbstbewußten, stolzen
„Als Zigarrenfabriklerin, da bist du jemand ...“ stand also auch diese
Netzwerk aus gegenseitigen Hilfestellungen und Rücksichtnahmen, aus
heimlichen versuchen, Aufseher und Fabriknormen gemeinsam zu überlisten,
und offener gewerkschaftlicher Interessensdurchsetzung: aus vielfältigen,
solidarischen Strategien also, Arbeitsbelastungen auszubalancieren und
Arbeitszwänge subversiv zu unterlaufen. „Wir sind gern in die
Zigarrenfabrik gegangen ...“
Buchtips zum Thema: Ingrid Bauer Ingrid Bauer (Hrsg.) |