Der Schafskopf |
Ein Märchen von Christian Ploier |
Sardinische Impressionen münden bei
einem Märchenerzähler naturgebunden in sardische Phantasien. Nicht in
der Art, daß ich über das wunderbare Essen, oder über die zauberhaften
Meeresbuchten schwärmen würde. Wobei der Wein nicht zu vergessen wäre.
Zu empfehlen wäre da ein Cannenou Reserva 1994 oder ein junger Dorgali.
Auf jeden Fall sollte man im Städchen Bosa einen trockenen Malvasier
probieren. Einfach der Nase nachgehen. Man findet ihn dann in einer
kleinen Bar, die der Madonna des Ortes geweiht ist. Ein malvasisches
Quellwunder an dem sich die Inspiration leicht entzündet. Aus den
Gesichtern der Alten, die vor mir am Platz sitzen schält sich die
Geschichte dann wie von selbst heraus und sie beginnt so: Welch
ein Abgeschiedenheit. Nicht weit von hier in den Bergen lag einst ein
Dorf. Den Namen habe ich vergessen, aber ich erinnere mich der schönen
Ika mit ihren buschigen, schwarzen Haaren und ihren flinken anmutigen
Beinen. Ihre Augen blitzten und ihr Gesicht lachte. Besonders wenn sie
Tonino dem Schäfer begegnete. Welch
ein Schafskopf
sagten alle über ihn. Doch hübsch wie kein zweiter war er. Ständig
schielte er seiner angebeteten Ika der jüngsten Tochter der Bonatis nach.
Seine Mutter spürte, daß bei seinem Temperament die Hochzeit noch diesen
Herbst stattfinden mußte. Die meisten Hirten hatten ihr Sommerlager auf
den Weiden rund um den Monte Rasu. Durch die wenigen Rinnsale gab es da für
Mensch und Tier ein bescheidenes Auskommen. Obwohl man ansonst den Berg
der Hexe Betena mied. Auch ließ man die Herden nicht allzu weit oben
weiden, um nicht in das dunkle Revier der Maria Betena einzudringen. Ich
weiß nicht ob sie je einer zu Gesicht bekommen hat. Manche behaupten sie
hätten mit ihr geredet, oder sie kannten jemanden, den sie verflucht
hatte. Viele dunkle Geschichten wurden ihr auf den Rücken gebunden. Ob
wahr oder unwahr, auf jeden Fall wagte sich keiner je auf den Gipfel des
Berges auf dem die Hexe Maria Betena hausen sollte. Keiner außer Tonino.
Aus Übermut und Arglosigkeit stieg er bis in das Hochtal, trank aus einer
Quelle und spielte auf seiner Flöte. Welch
ein Unheil.
Der Hexe war der unliebsame Gast nicht verborgen geblieben. Hinter einem
Fels kauernd lauerte sie und rasend
vor Wut sprang sie dem Schäfer auf den Rücken, riß ihm seinen Kopf vom
Leib, schob ihn unter ihren Rock und setzte ihm dafür einen Schafskopf
auf. Tonino von Todesangst gepackt hüpfte auf und ab um die Hexe abzuschütteln.
Schließlich fiel er starr zu Boden und aus seinem Maul kam ein ängstliches
Blöcken. Mit Bocksprüngen und
mit Toninos Kopf zwischen ihren Schenkeln raste die Hexe den Berg hinauf. Welch
ein Jammer.
Als er seinen neuen Kopf betastete, spürte er ein wollenes Fell und zwei
lang abstehende Ohren. Von oben hörte er das fieppende Lachen der Hexe.
„Schafskopf“, rief sie und der Berg trug das Echo bis an die unteren
Weiden. Die aufgeschreckten Hirten verließen ihre Herden und rannten
schreiend ins Dorf zurück. Tonino kam erst langsam wieder zu Sinnen. Als
es dunkelte schlich er sich bis an den Rand des Dorfes zurück. In einer
halb verfallenen leerstehenden Hütte kroch er unter. „Ika darf mich so
nicht zu Gesicht bekommen“, murmelte der Unglückliche bevor er erschöpft
einschlief. Welch
einen Schrecken bekam
die alte Rosetta, als sie den Schafskopf am nächsten Morgen schlafend
vorfand. Sie wollte Kräuter zum Trocknen in die Hütte bringen.
„Madonna“, rief sie entsetzt. „Dem Kopf nach zu schließen bist du
ein Schaf. Der Rest aber sagt mir, daß du Tonino mein Neffe bist und mit
Maria Betena getanzt haben mußt. Hee, Tonino wach auf.“ So erfuhr
Rosetta die ganze Wahrheit. „Ich will tun was ich kann. Ein wenig kenne
ich die Hexe von früher. Ich werde für dich ein gutes Wort einlegen
gehen.“ Sie
befahl ihrem Neffen nicht aus der Hütte zu gehen und holte selbst zwei
ihrer Söhne als Wache vor die Hütte. „Bei der heiligen Jungfrau laßt
niemanden da hinein und Tonino nicht heraus“, schärfte sie ihnen
ein. Dann aber packte sie aus ihrer Truhe eine alte rostige Axt mit
seltsamen Zeichen auf der Klinge und ein kleines in Leinen gewickeltes Päckchen,
steckte es in ihre Tasche und machte sich auf den Weg in die Berge. Welch
ein Gelächter begann
im Dorf, als langsam alle erfuhren was geschehen war. Toninos Bewacher
waren ihrer Neugier nicht gewachsen und blickten verstohlen in die Hütte.
Als sie aber ihren Cousin mit dem Schafskopf dasitzen sahen, verließ sie
aller Mut und sie rannten schreiend auf den Marktplatz. „Hilfe, Tonino
hat einen Schafskopf auf“, riefen sie und ernteten bei den
Umherstehenden nur Gelächter. Aber schließlich saß das ganze Dorf, außer
der weinenden Ika, in sicherer Entfernung um die verfallene Hütte. „Tonino
bist du da drinnen. Zeig dich. Wir wollen wissen ob du ein Schafskopf
bist“, riefen einige frech und lachten. „Bringt mir etwas Wein und zu
essen, aber keiner soll es wagen in die Hütte zu kommen“, tönte es
nach längerer Zeit verängstigt aus der Hütte. Und in seiner Not fügte
der Verzweifelte hinzu: „Wer mich zu Gesicht bekommt, dem ergeht es
ebenso.“ Eingedenk der Warnung schob man vorsichtshalber den Wein und
das Essen mit einer langen Stange in die Hütte. Welch
ein Mühsal
war es für die beleibte Rosetta den Berg hinauf zu steigen bis an die
Quelle der Betena. Schwitzend setzte sie sich unter eine Tamariske, holte
ihr Beil aus der Tasche und rief: „Maria, ich werde aus deiner Quelle
trinken. Ich muß mit dir reden.“ Die
Hexe ließ nicht lange auf sich warten. In ihrer schwarzen Kleidung, mit
den schwarz verfiltzen Haaren, den dunklen Augen und den schleichend hüpfenden
Gang glich sie einer Krähe. Sie hob ihren Stab und fauchte:
„Verschwinde Rosetta, sonst ergeht es dir wie deinem Neffen.“ „Komm
Maria setz dich. Du weißt ich bin alt und meine Tage gehen dem Ende zu.
Ich möchte dir etwas schenken und mit dir reden.“ Mißtrauisch
stand Betena vor ihr. „Geh‘ Rosetta. Ich hasse euch alle. Ihr seid nur
Dreck. Geh sonst töte ich dich.“ Rosetta
sah sie an. „Manchmal sind die Menschen übler
als Dreck. Und selbst das Wort reicht oft nicht aus Maria. Setz dich. Du
siehst ich bin noch immer geschützt vor dir.“ Dabei
streckte sie der Hexe die Axt entgegen und lachte verschmitzt. Welch
ein Wind entfuhr
aus dem After der Hexe als sie sich setzte. „Willst du mich bekehren
oder willst du Toninos Kopf? Oder hast du Lust mit mir zu tanzen und
fluchen meine schöne Rosetta?“ Dabei schoß Betenas hagerer Kopf zu
Rosettas Ohr. „Ich hoffe dein Geschenk eignet sich für diesen
Tausch.“ Da
holte die Alte das in Leinen gehüllte Päckchen hervor und seufzte.
„Siehst du Maria, es läßt sich doch reden mit dir. Du hast den Kopf
von meinen Neffen sicher mit Efeu umwickelt und bewahrst in dort wo er dir
Freude bereitet. Ich gebe dir jahrhundertalte Alraunenwurz dafür.“ Welch
ein Blitz zuckte
durch die Augen von Betena. „Alraunenwurz. Ahh, dafür soll ich dir
Toninos Kopf geben. Zeig her!“ Und die Hexe wog die Kostbarkeit in ihrer
Hand und roch an der Wurzel, streckte ihre rote Zunge gierig danach aus
und schnitt mit der Hand Zeichen durch die Luft. „Alraunen. Wirklich.
Rosetta ist dir der dumme Kopf das Wert? Ahh,
und du weißt noch, daß man Köpfe in Efeu bewahrt.“ Behend
sprang sie auf und zog Toninos Kopf unter ihrem Rock hervor. „Tante“,
rief der Kopf, „was machst du hier? Wie geht es meiner Ika. Wo ist der
Rest von mir...“ . Die Worte sprudelten ohne Unterlaß aus seinem Mund. „Ich
will dich nicht mehr sehen Rosetta. Nächstes Mal sauge ich dir das Mark
aus den Knochen.“ Flink warf sie ihrer Verwandten den Kopf zu, den diese
geschickt in ihrem Rock auffing. „Maria.
Warte. Geh noch nicht. Ich wollte dich noch was fragen. Wie alt bist du?
Großmutter war doch deine Schwester. Du mußt über.....“ „Halt
deinen Mund Rosetta und verschwinde. Fang nicht wieder damit an“,
fauchte Betena. „Ah
Maria du machst mir keine Angst. Wie lange willst du mich noch warten
lassen. Zeig‘ mir das Kraut, das dich noch immer am Leben erhält. Das
bist du unserer toten Großmutter schuldig.“ Welch
ein Streit
begann unter der Tamariske. Rosetta packte Käse und Wein aus und die Hexe
holte Oliven aus ihrer Tasche. Damit aber kein Wort über ihr Gespräch
ins Dorf getragen wurde schläferten sie Toninos Kopf gemeinsam ein. Rosetta
kam erst am nächsten Tag mit Toninos Kopf unterm Rock ins Dorf zurück.
Tonino empfing sie mit einem Freudengeblöcke. Von ihren Söhnen ließ sie
sich Wasser bringen und verschiedene Kräuter und verschwand für viele
Stunden in der Hütte. Erst am Nachmittag kam sie mit Tonino an der Hand
auf den Dorfplatz. Er sah bleich aus, aber der Kopf saß ihm gerade am
Hals. Ika umarmte ihn als erste. Und nachdem alle im Dorf ihn ausgiebig
bestaunt hatten, begannen sie ihn mit Fragen zu bestürmen. Immer wieder
mußte er die Geschichte, oder das woran er sich erinnerte, erzählen. Von
Rosetta war darüber gar nichts zu erfahren. „Was kümmert euch Maria
Betena“, murrte sie, wenn sie gefragt wurde. „Oder habt ihr Lust die
alte Hexe zu besuchen?“ Der schönen Ika aber flüsterte sie am
Hochzeitstag ins Ohr: „In manchem ist Tonino wirklich ein Schafskopf, in
manch anderem jedoch ist er sehr geschickt.“ So oder auch anders muß es gewesen
sein. Wenn nicht habe ich mich glattwegs von den ehrlichen Gesichtern der
Leute täuschen lassen. Oder war am Ende gar der Malvasier Schuld an
dieser Geschichte. Wenn ihr genau wissen wollt wie alt Rosetta geworden
ist, oder ob Ika mit ihrem Tonino glücklich wurde, müßt ihr euch schon
selbst auf den Weg machen. |
Fotos: Christian Ploier |
|