Zu Anif gab es einmal
viele Undinen. Die vielen kleinen Flüßchen, die Teiche, das große Moor
und der nächtliche Nebel galten ihnen alles. Auch den hohen Berg, der die
weite Ebene begrenzte, liebten sie auf ihre Weise, obwohl sie ihn mieden.
Er war ihnen heilig. Noch mehr liebten sie den nächtlichen Gesellen, den
Mond. Zu Vollmond tanzten sie bis zur Grenze der Nebel und in ihrem Übermut
zeigten sie sich. Manchmal sah ich sie sogar. Nein, gebissen habe ich
keine von ihnen, obwohl sie mich frech und unverfroren neckten. Nicht nur
mich, sie neckten so manchen späten Wanderer, vor allem aber den jungen
Grafen der Gegend, wenn er nachts trunken zum Schloß ritt. Gerne eilten
sie an verschwiegene Plätze, wo der Jüngling sich mit schönen Weibern
den Lüsten und Leidenschaften aufkeimender Begierden hingab. Umarmungen
und begehrliche Küsse waren den Undinen fremd. Diese seltsamen
Liebesverrenkungen erstaunten sie in unglaublichem Maß. Und nichts
fesselte sie mehr. Manchmal verspürte der Jüngling im abklingenden
Rausch der Leidenschaft eine seltsame Kühle, die ihn umfing und zu
betasten schien. Er schrieb es dem Mond zu und dem Zauber der Nacht.
Unter den Undinen nannte
man eine IaElee, die weit dem Berge zugewandt wohnte und nur selten mit
ihren Schwestern zum Reigen im Mondlicht kam. Es hieß, sie stünde mit
dem Herrn des Berges in mancherlei Verstricktheit. IaElee hatte schon
mehrmals die hitzige Stirn des jungen Grafen gespürt, wenn er trunken vor
Lebenslust selbst dem Tod die Herrschaft streitig machte. Sie hatte ihn
schon als Kind gekannt. Mit welcher Stille hatte er dazumal die Luft des
Waldes geatmet. Mit seinen dunklen, klaren Augen faßte er nach einem
Leben, an dessen Anfang er erst stand. Oftmals gesellte sie sich zu diesem
Kind und floß mit seinem ernsten Blick hinaus in das Blau des Himmels. Dieses Bild lebte in ihr, wenn sie
manchmal den jungen Grafen zusammen mit ihren Schwestern neckte. Noch
immer liebte sie es ihm durchs Haar zu streichen bis er sich unmutig mit
der Hand darüber strich. In seinem Blick spiegelte sich der Mond und das
wilde Verlangen nach einem ganzen Leben. Sie sang ihm, wenn er müde vom
vielen Wein an einem Bach sein Gesicht erfrischte und sie genoß es mit
ihm allein zu sein. Ihr schien als würde er in solchen Augenblicken ihre
Anwesenheit spüren. Dafür wurde sie von ihren Schwestern gescholten.
Denn diesen galten die Menschen nicht viel.
Auf Befehl des Vaters
nahm sich der junge Graf ein Weib seines Standes, was dazu führte, daß
er sein wildes Leben nur noch toller trieb. Zum Wein und den Liebschaften
gesellte sich die Lust zu spielen. Die Würfel verwuchsen mit seiner Hand
und besessen wie kein Zweiter weihte er die Nacht dem Würfelspiel.
"Dem Teufel würd' ich die Nägel von den Zehen würfeln, wenn er die
Schneid` hätte mit mir zu spielen", prallte er. Seine Kunst im Würfeln
ließ sogar vornehme Herrn aus Rom anreisen. Und als ein hoher Würdenträger
Geld, Schloß und Mätressen verspielt hatte, beschloß der junge Graf
sich für einige Zeit auf seinen neuen Gütern in Rom niederzulassen. Das,
so sagt man, waren die besten Jahre des Grafen, was immer darunter zu
verstehen sei. Zurück kam er krank und mit grauen Strähnen im Haar. Er
litt an einer seltsamen Krankheit, einem wulstartigen Kropf, der ihm die
Sprache raubte. Sein Gemüt war verdunkelt, es schien als hätte der Tod
in ihm Platz genommen. Kaum daß er seine Umgebung wahrnahm.
Zum Schweigen verurteilt
ging er stundenlang durch seine Besitzungen und manchmal zog es ihn an die
Plätze seiner Kindheit und er fühlte nach dem Kind, das er einmal war.
Es ergriff ihn keine Trauer, auch nicht als er sein Gesicht im Spiegel des
Teiches sah. "Ist mein Reichtum das Übel?", fragte er stumm das
Wasser. "Oder bin ich es?", wiederholte er.
"Was erzählst du da, Tschutscha",
rief die Eule aufgebracht. "Erzählen sich solches die Hunde."
"Warum nicht, Eule. Eine
Geschichte ergibt die andere. Und wer sagt, daß wir nur Träger vieler Flöhe
wären?"
Und so erzählte er weiter.
Auf jeden Fall hat
IaElee ihn an einem Wintermond, als er in Pelz gehüllt am Rande eines
Teiches stand, gespürt. Ohne davon ihren Schwestern zu sagen, umfloß sie
den Teich und den Baum woran er lehnte. Still blickte er in die Nacht, und
das Mondlicht füllte seine Augen. IaElee lachte und schmiegte sich in
sein graues Haar. Sie spürte seine Kinderaugen und spürte darin sein
krankes Licht. Er fühlte den Windhauch und strich sich übers Haar. Von
nun an begleitete sie ihn immer öfter bei seinen verschwiegenen Gängen.
Er wurde ihr noch lieber. IaElee ahnte ihr Schicksal, doch sie begann ein
menschlich Kleid zu weben. Sie hatte Angst Mensch zu werden. Sie hatte
Angst sterblich zu werden. Es wurde die Gestalt einer kleinen, zierlichen,
blaßhäutigen Frau. Und als sie sich das erste Mal im Spiegel des Teiches
sah, war sie ein wenig unzufrieden damit. Viele
ihrer Schwestern fühlten das Sterben IaElees und welkten leise mit ihr
mit, bevor sie sich im Reigen wieder schlossen. Sogar der Herr des Berges
trauerte um die Undine.
"Daran also glauben Hunde",
sagte die Eule.
"Sie riechen es", murrte der
Hund und redete weiter.
Wie IaElee den kranken Fürsten
traf, weiß ich nicht mehr. Auf jeden Fall war er erschrocken über die flüchtige
Erscheinung der mondleichten Gestalt. Sie ließ ihn den Duft der
Stechapfelblüte riechen, um ihn zu heilen und später im Jahr schmiegte
sie sich zum ersten Mal an ihn. Einmal als sie bei ihrem Liebsten saß und
seine wiederkehrenden Kräfte spürte, sagte er: "Dich kenn' ich von
meiner Kindheit an, scheint mir. So als wärst Du schon immer bei mir
gewesen." IaElee lachte und dachte an ihre Schwestern.
Als der Graf wieder bei
Kräften war, begann er seine Geschäfte zu ordnen. Er bedachte sein Weib
und seine Kinder großzügig und schenkte ihnen seine Güter in Rom. Ans
Schweigen gewöhnt zog er sich in die Abgeschiedenheit zurück. Schließlich
wußten die Leute des Dorfes nicht mehr ob er noch lebte, oder längst tot
war. Allein IaElee lebte mit ihm. Sie spürte wie ihr Menschenkörper zu
welken begann und sie spürte den Glanz mit dem ihre Schwestern sie an
manchen Abenden umhüllten. Aus ihrem Liebsten mit den Kinderaugen war ein
alter stiller Mann geworden. Sein Blick glich mehr denn je der Farbe eines
dunklen Sees. Noch immer liebte IaElee ihn. Auch wenn sie wußte, daß sie
dafür sterben würde.
Tschutscha der Hund war
aufgestanden und ergriffen sang er.
Das Leben ist kürzer als meine Gedärme.
Der Tod ist länger als mein Schwanz.
Und er schlug die Trommel viel
sechszehn mal.
"Bist du verrückt, Tschutscha",
krächzte die aufgescheuchte Eule.
"Sag´mir, hat der Graf gewußt,
wer seine Liebste war?"
"Nein, Eule. Wer will sagen, daß
er weiß wer seine Liebste ist."
"Hat er es geahnt, Tschutscha?"
"Geahnt vielleicht schon. Aber was
hilft das schon."
Ja, so ist das gewesen.
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