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Tunnelblick auf die
Fussball WM,
und was
sonst noch geschieht, aber niemand zeigt...
"Onde dinheiro está em
jogo, não ponho o meu coração", sagt mein Freund Geraldo
Assis Brandão. "Wo Geld im Spiel ist, gebe ich mein Herz nicht her"!
Das ist leichter gesagt als getan! Für mich jedenfalls...
In meiner Brust schlägt das Herz eines leidenschaftlichen
Schlachtenbummlers.
Kaum fahre
ich an einem Rasenstück vorbei, auf dem sich eine kickende Meute
tummelt, drücke ich sofort der einen oder anderen Mannschaft die Daumen.
Auch wenn ich dem Spektakel nur zwei bis drei Sekunde widmen kann.
Leuchtet die Ampel rot, bin ich nach einer halben Minute bereits in der
Lage, einen der beiden nicht existierenden Teamtrainern zu beraten...
Angesichts
des Reichtums Brasiliens geht es mir ebenso. Auf Schritt und Tritt
bemerke ich das Potential dieses Landes, versuche mir vorzustellen, wie
dieser Reichtum an Natur und Rohstoffen, Ackerland und das Naturtalent
seiner Einwohner der lokalen Kollektivität zugute kommen könnte.
In jedem
Fall scheint der Versuch, einer brasilianischen Fußballmannschaft
taktische Disziplin beizubringen genauso unfruchtbar zu sein wie das
Engagement in Politik, Umweltschutz und Wirtschaft. Ein Unternehmen kann
in Brasilien noch so gut strukturiert, von fähigen und ehrlichen
Fachleuten verwaltet werden... Erfolg und Profit darf aber nur derjenige
erwarten, der an die Tür der Mächtigen pocht, ehe er sein Kapital
investiert und sich vergewissert, daß er mit seinem Vorhaben nicht
mit unsichtbaren Interessen kollidiert.
Fragt sich
jetzt noch einer, warum illegale Sägewerke, Monokulturen, und
Zelluloseerzeuger weiterhin den Regenwald verschlingen, kleine Buben im
Krieg rivalisierender Drogenbanden oder im Schock mit der Polizei
fallen, junge, 10 bis 12-jährige Mädchen auf den Strich gehen,
Inhaftierte vom Gefängnis aus und per Cellphone Raub und Mord anstiften,
verwalten und überwachen, sowie staatliche Institutionen sich mit
privaten Bemühungen verbünden und umgekehrt, sich Allgemeingut mit
individuellen Interessen vermischt, kann er sicher sein daß alles Tun
rings herum seine Gründe hat. Vor allem die Unterlassungen.
Fragt mich
jetzt einer, was das alles mit Fußball zu tun hat, könnte ich das mit
vier Buchstaben beantworten: FIFA.
Die
Fédération Internationale de Football Association wird natürlich
zweifellos von ehrenwerten Männern verwaltet. Irgendwelche Anspielungen
und Behauptungen, die FIFA sei ein korrupter Laden, sind genauso
lügenhaft wie Spekulationen um Ronaldo Nazários Körpergewicht zu Beginn
der WM in Deutschland...
Wenn nun
mittelmäßige Nationalteams hoffnungsvoll dem Endspiel entgegensehen,
während gute Mannschaften bereits wieder nach Hause fahren, soll der
Grund dazu bei den Spielern und den Teamtrainern gesucht werden.
Ein
Mißerfolg der Brasilianer ist leicht zu erklären. Für die
brasilianischen Ballkünstler und schwerreichen Fußballgötter zählt ein
gelungenes Dribbeln mehr als ein Tor. Das Bild mit dem überspielten und
aus dem Gleichgewicht gebrachten, hilflos am Rasen sitzenden Gegner
stimmt den brasilianischen Schlachtenbummler glücklicher als das
Vorrücken der Nummern des elektronischen Trefferschildes.
Da ich aber
nicht nur brasilianische Fußballprofis kenne, sondern auch
Schiedsrichter, leuchtet bei mir längst ein Warnlicht. Jedenfalls seit
Carlos Eugênio Simon eingeladen wurde, Spiele der Fußball-WM in
Deutschland zu leiten. Simon ist in meinen Augen mit abstand
der kompetenteste Schieber Brasiliens.
Ich sah
bisher nicht alle Spiele, von manchen Übertragungen nur die eine oder
die andere Halbzeit, aber doch etliche nicht geahndete Fouls... vor
allem im Strafraum der Mannschaften schwergewichtiger Nationen. Ein
Benehmen der Referees, das ich auch bei der Verteilung gelber und roter
Karten wiedererkannte. Fehlentscheidungen in jenen hochmodernen
Sporttempeln sind Fakten, die vielleicht nur ich mit meinem angeborenen
Verfolgungswahn wahrnehmen konnte.
Mein
Interesse an den Spielen beginnt bei den Landeshymnen. Fast alle Lieder
erzählen von Tyrannen und natürlich von der durch brüderlichen und
schwesterlichen Kampf erreichte Freiheit, sodaß unsereins Glauben
könnte, die sportliche Auseinandersetzung würde zwischen den singenden
Kickern und ihren Oppressoren ausgeteilt... Die Tatsache, daß der
afrikanische Crack außerhalb der WM im selben Team spielt wie sein
momentaner Gegner aus Europa - wenn auch nicht in Togo,
Elfenbeinküste oder Ghana, so doch in Paris oder London -, macht mir
einen Strich durch die Spekulation.
Je mehr
Nationalmannschaften im Laufe der Kompetition ausscheiden, um so mehr
Schlachtenbummler und Fußballfans sind zum Entschluß gezwungen, einer
anderen, noch "im Rennen" befindlichen Mannschaft die Daumen zu
drücken... wobei Mißgunst und Schadenfreude gegenüber den Rivalen noch
süßer zu sein scheinen als der Erfolg der eigenen Nationalelf.... mich
als Maßstab nehmend.
Während ich
an die durch Schiedsrichter und FIFA benachteiligten Sportler denke, die
vielleicht ihre letzte WM bestritten, oder erst gar nicht ins Team und
auf den Rasen kamen, weil Nike oder Adidas oder sonst ein Sponsor andere
Pläne hatten, zeigt das Fernsehen den Freudenrausch eines Menschenozeans
in leuchtenden Nationalfarben.
Während wir
alle mit kritischen Augen die Fußballweltmeisterschaft verfolgen,
verlieren wir Drittweltler das wichtigste Spiel unseres Lebens. Die
Spielregeln werden vom Gegner bestimmt. Die Mannschaftsaufstellung
unseres Kontrahenten: Monsanto, Cargill, Bunge, Syngenta, Aracruz
Celulose, Nestlé, BP, Shell, Exxon, De Beers... Auf der Reservebank...
Bankiere, Politiker und die Medien.
Wenn
Soziale Bewegungen wie MST ( Movimento dos trabalhadores Sem Terra =
Landlosenbewegung ) und Via Campesina zu Fuß und unbewaffnet gegen die
landzerstörenden Mächte anstürmen, kämpft heisses Blut gegen kalten
Profit.
Bei den
transnationalen Konzernen neokolonialer Bemühungen ist zweifellos Geld
im Spiel. In diesem Fall loht es sich gewiß, mit ganzem Herzen gegen die
Zerstörung von Land und Menschen zu kämpfen.
Salvador, 23. Juni 2006
Reinhard
Lackinger,
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