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Doping, ...
"Jetzt halte ich es aus
mit einem, der nichts gehabt hat", sagte meine Mutter immer, wenn
sie gut und vor allem reichlich zu Mittag gegessen hatte.
Für mich bedeuten Sprüche wie dieser nichts weiter als Zeichen einer Zeit, als die Großeltern das ärmliche Kleinkeuschlerleben der Oststeiermark gegen die Lohnsackerlgewißheit in der damals wachsenden Industriestadt Kapfenberg austauschten. Mehr nicht, denn trotz der Not der Nachkriegsjahre habe ich nie Hunger gelitten und bisher nur aus Jux und selten Mahlzeiten übersprungen...
Daß das
Aufnehmen von Speisen mit der Fähigkeit, eine körperliche Arbeit zu
leisten, zu tun hat, dringt weiterhin nicht so recht in mein Hirn.
Obwohl täglich Bettler und Straßenkinder Brasiliens ihre hageren
Arme nach mir ausstrecken, mir die hohle Hand entgegenhalten... ihr
hungriges Gesicht preisgebend...
Als der
Mensch begann, besser zu verdienen, sich von der Hungergrenze zu
distanzieren, begann er Sport zu betreiben. Talentierte Sportler
brauchten nicht mehr schwere Industriearbeit zu verrichten. Sie
bekamen einen ruhigen Alibijob und wurden früh genug zum Training
geschickt. In den sogenannten Sozialistischen Ländern waren
Spitzensportler entweder Sportstudenten oder später als
Sportlehrer angestellt. Sie wurden dementsprechend entlohnt.
Es
wurde hart trainiert. Von der Stirne heiß, rinnen mußte der
Schweiß...
Ich
erinnere mich... beim Wandern und auf den Bergen hatten wir immer
Traubenzucker mit... Kicker saugten in der Halbzeit an
Zitronenhälften, gurgelten mit Franzbranntwein... Der Blatzer Sigi -
Böhlerianer in der Gesenkschmiede, Fußballer, Boxer und
Eishockeyspieler, mit einer kurzen Passage beim KSV der Staatsliga A
in den 60er Jahren - schoß sogar ein Tor gegen Rapid Wien - spuckte
den Franzbranntwein nicht wieder aus wie alle anderen... gab das
Fläschchen leer zurück.
Als die
Transpiration mit ihrem Latein am Ende war, oder es jedenfalls so
schien, wurde nach Mitteln gegriffen, die die Leistung der Sportler
noch um ein entscheidendes Eck förderte: Doping.
Männer
kriegten künstliche Hormone wie Anabolika und riesige Muskelpakete,
Frauen einen Männerkörper. Es wurde eingenommen, gespritzt und
geschnupft, daß es nur so staubte in den Trainingslagern.
Effizient gedopte Athleten hielten es nun aus mit einem, der kein
Doping hatte... um eine Analogie zu Mutters Spruch herzustellen.
Was
diese Aufputschmittel im menschlichen Körper anrichteten, weiß der
Liebe Gott. Mediziner sprachen von Schäden in der Leber. Auch andere
Organe würden unter den Nebenerscheinungen des Dopings leiden. Sogar
Geschlechtsorgane. Jedenfalls habe ich mir das als Laie sagen
lassen...
Was nun
folgte, war ein Tauziehen zwischen "Wissenschaftlern", die immer
modernere und vor allem "unsichtbare" Dopingmittel entwickelten und
Wachorganen, die in Urin und Blut der Athleten nach Spuren
verbotener Substanzen suchten.
Es
folgten auch böse Folgen für die Sportler, denen Doping nachgewiesen
werden konnte... sowie peinliche Szenen des Reigens verliehener,
enteigneter und erst später an die rechtlichen und dopinglosen
Sieger erteilten Medaillen.
Manchmal waren nicht nur Menschen gedopt, sondern auch Pferde. Der
Sohn des legendären Nelson Pessoa kriegte seine Goldmedaille erst
Monate nach den Olympischen Spielen von Athen zugesprochen.
Mancher
Filmherkules und Hollywoodtarzan wurde, nachdem er mit der
hormonalen Rosskur aufgehört hat, wieder schlank und sah dann wieder
einigermaßen normal aus.
Ein
weiteres Dopingmittel scheint Geld zu sein. Erinnern wir uns nicht
an Olympische Winterspiele grauer Vorzeit, als Karl Schranz als
Profi erklärt und vom Wettbewerb ausgeschlossen wurde? Treffen
Dopingmittel nur rege und rührige Sportler, stets bemüht, Optimales
aus dem menschlichen Körper zu holen? Treffen Dopingmittel auch auf
uns faul und mehr oder weniger feist vor dem Computer Sitzenden zu?
Wie schaut es mit dem Konsum von Alkohol und Tabak aus? Wie schaut
es mit dem Konsum von Antidepressiva aus? Von Marihuana, LSD, Extasy,
Crack, Heroin und Kokain will ich erst gar nicht reden. Wie schaut
es weiters mit den neuen Pillen gegen Erektionsstörungen aus?
Hat der "Blaue Diamant" wirksame Konkurrenten? Wer hat ihn
schon ausprobiert? Wirkt Levitra oder Cialis auch, besser oder gar
nicht? Haben Wachteleier, Erdnüsse und Muschelsuppen ihren Mythos
verloren?
Problematisch finde ich, wenn junge Burschen mit 20, 30 Jahren schon
Viagra nehmen. Am Wochenende, um sich eine zünftige "Gaudi" zu
garantieren... Ein Eigentor, das erst Jahre nach dem "Doping"
gepunktet wird...
Da
lob ich mir die Neurotransmitter, die durch jede Stunde meines
konfusen Alltags in Brasilien neu verknüpft werden. Für den Autor
dieses verrückten Textes ist seine Wahlheimat Brasilien ein Meer aus
Serotonin, Adrenalin... ganz abgesehen vom scharfen Meerrettischsenf,
vom Apfel-und Semmelkren, den er seinen Beislgästen im Bistrô
PortoSol in Salvador, Bahia, Brasilien serviert...
Wenn
ich hier in den Tropen recht informiert bin, gingen unängst der ÖSV
und internationale Dopingfahnder in Turin mit österreichischen
Biathleten und Langläufern Schlitten fahren... Heute kann ich
zum Thema Doping auch etwas sagen... jedenfalls zu Menschen, die
noch weniger davon verstehen als ich...
Salvador, Bahia, Brasilien, 12. März 2006
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