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... wir und die Erbsünden der Nazizeit
Vielleicht übertreibe ich, wenn ich behaupte, einen Schwarzen Peter - den
ich nicht loswerde - mit mir herumzutragen, seit ich in Brasilien lebe.
Ein Schwarzer Peter, der judensternhaft an mir klebt.
Fragt mich einer, meinem ausländischen
Akzents wegen, woher ich
komme, antworte ich nicht ohne Stolz: „sou austríaco“! Unweigerlich und
wie nach Skript tönt es aus dem Mund des neuen Gesprächspartners: “Hitler
war auch Österreicher, nicht wahr“? „Ja, leider“, antworte ich mit
einem Seufzer. Manchmal nennt mein Gegenüber auch noch Namen wie Haider
oder Schwarzenegger. Kein Grund jedenfalls, um mich dadurch glücklicher zu
fühlen... Oft bin ich versucht, einen Gast im Glauben zu belassen, ich sei
Magyar, weil wir in unserem Bistro österreichisch-ungarische Speisen
auftischen. Mein Patriotismus erlaubt es aber nicht, wie ich auch das
Rauchen im Innern des Beisels nicht dulde.
Ein beachtlicher Teil unserer Gäste besteht aus Brasilianern, die
irgendwann im Leben in Europa studiert haben. Sie kommen zu uns auf ein
Gulasch, ein Tirolerg´röstl, eine Bratwurst und wegen dem in meiner
Giftküche hergestellten scharfen Senf, erzählen in unserem Beisl von ihrer
schönen Zeit im Ausland.
Immer wieder holt einer weit, sehr weit aus, spricht von der
Nazizeit, um die europäische Gegenwart zu deuten. Ich muss zuhören,
ob ich will oder nicht. Das Bistro ist klein. Außerdem reden sie ja laut
genug.
Immer wieder sprießt ein Anlass, die Gespenster der 30er und 40er
Jahre zu invozieren. Den Schwarzen Peter fest in der Hand, spüre ich alle
Blicke auf mich gerichtet.
Mittlerweile weiß jedes Kind, daß mit dem Naziregime nicht alles
in Ordnung war. ( Allein diese meine Formulierung stempelt mich zur
persona non grata. Nicht nur in Brasilien, sondern auch in Österreich.
Vielleicht sogar in Kärnten. )
Warum gelingt es uns nicht, den Teller mit der braunen Suppe
endlich abzuservieren, anstatt diese immer wieder aufzuwärmen? In den
Zeitungen sprach man unlängst und zur Feier des Tages „D“ von Versöhnung.
Was verstehen wir, das einfache Volk, davon?
Währenddessen geschehen weltweit und seit dem Ende des Zweiten
Weltkrieges und am Rande unserer Wahrnehmungen, die uns das Fernsehen
beschert, die verschiedensten Formen von Untaten an Umwelt und Menschen,
Genozid und Weltverdreckung.
Ich fühle mich nicht in der Lage zu behaupten, was schlimmer war:
Mauthausen oder Hiroshima, Nagasaki oder Auschwitz... Was ist heute
lebensgefährlicher? Aids, Krebs oder Ignoranz, Flüchtlingslager in
Palästina... oder brasilianische Gefängnisse... Wer kennt die Todesopfer,
verursacht durch das Unterschlagen von Milliardenbeträgen, die in
Drittweltländern geraubt und in Banken von Hehlerparadiesen deponiert
werden... Was bitte ist „vorsätzliches Töten“?
Wenn es dem nordamerikanischen Volk gelang, die Schuld an der
Ausrottung der Indianer abzustreifen und wenn die Nachfahren der
Kolonialmächte sich keinen Augenblick mit dem Schlamassel identifizieren,
das sie in Afrika und Asien vor nicht allzu langer Zeit zurückgelassen
haben, so wird es auch uns gelingen, die Erbsünde der Nazizeit
loszuwerden. Ich hoffe es!
Ideal wäre es, könnten wir von der Geschichte lernen, den oder die
Hitler von heute identifizieren und entlarven, anstatt ausschließlich im
braunen Unrat unserer Vergangenheit zu stieren.
Vor unseren Augen haben mehr oder weniger unredliche
Milliardengeschäfte Vorrang, weil wir uns insgeheim billigeren Sprit
erwarten, defilieren die Untäter von heute, werden die lachenden Vierten
Nordamerikas ihren Präsidenten wieder wählen, die Israeli ihren Hintern
nicht aus den besetzten Territorien Palästinas heben, wird in Venezuela
und
sonst wo Unfrieden gestiftet... und wir sehen nach wie vor tatenlos zu.
Wir, die lachenden Fünften...
Natürlich übertreibe ich mit diesem Text gewaltig. Erstens tanken
wir ausschließlich bleifreies und umweltfreundliches Benzin, lassen, wenn
möglich, das Auto zu Hause und strampeln entlang unserer schönen Radwege
durch die gepflegte Natur und geben das Rauchen auf. Wir sind uns
mittlerweile einig im Kampf gegen das Nikotin. Die Zeit, in der wir unsere
Tischnachbarn im Kaffeehaus zu passiven Rauchern machten, ist endgültig
vorbei. Auch trennen wir gewissenhaft unseren Abfall und bemühen uns auch
sonst, politisch korrekt zu leben, respektieren das Radargerät in der Hand
des Wachorgans, fahren bedeutend langsamer als angegeben. ( Einer hinter
uns, der es eiliger hat, weil er gerade vom Mostheurigen kommt, hat eben
Pech gehabt... )
Ich wollte, ich könnte meinen Schwarzen
Peter loswerden und mit
meinen europäischen Zeitgenossen mitsingen: „Wir kommen alle alle alle in
den Himmel, weil wir so brav sind, weil wir so brav sind...“
Salvador, 8. Juni 2004
Reinhard
Lackinger,
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