Reinhard Lackinger
Masken, Fassaden und andere Facetten
Hemingway sprach von einer „verlorenen Generation“, meinte
damit diejenigen, die die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts
mit Kriegen verbrachten. Wie erträgt die
Wohlstandsgesellschaft von heute das Leben? Der Krieg ist weit
weg. Weit genug um nicht mehr selbst davon betroffen zu
werden. Außerdem sind wir seit Jahrzehnten neutral. Die paar
Unosoldaten unseres österreichischen Bundesheeres sind brave
Buben.
Ich empfand meine Umwelt noch als gesund, so lange wir noch
von keinem allzu großen Komfort gedrängt und versklavt wurden.
Als es noch keinen Kühlschrank gab, kein Fernsehen, kein
Videogame, keinen Stau auf der Straße... keine
Schönheitschirurgie.
Meine kleine Schwester ist noch keine 40, muß sich aber einer
Brustoperation unterziehen, diese rekonstruieren, nachdem ihr
die Ärzte wegen eines Tumors viel Gewebe entfernt haben. Als
die ältere Schwester an Brustkrebs litt, dachte anscheinend
noch keiner an reparierende Schönheitschirurgie. Vielleicht
war der Tumor schon zu groß, die Amputation die einzige
Lösung. Währenddessen trägt die Tochter einer brasilianischen
Bekannten, ein Mädchen mit 20, schon seit einiger Zeit
Silikonprothesen mit sich herum.
Ich gehöre der letzten Generation an, die einen natürlichen
Busen von Silonkobrüsten unterscheiden kann. Mein Freund und
steirischer Stahlplastiker, Flötist und Gallerist Hannes
Pirker meinte einmal und in den frühen 60er Jahren lapidar:
“Dekolleté kann man kaufen, Waden nicht!“ Er soll weiterhin
recht behalten. Mittlerweile kann man nicht nur Dekolletés
kaufen, sondern auch neue Hüften und was sonst noch abgesaugt
werden kann... und vor allem neue Gesichter. Mit Waden und
Hinterbacken soll man es versucht haben. Mit magerem Resultat.
Meine Kindheitserinnerungen tragen mich in meine Heimatstadt.
Jeder wollte so schön sein wie der Kohlhauser Ossi, aber das
Skalpell diente damals nur bodenständigen Aufgaben... Heute
spielt keiner mehr Sitzfußball. Der Versehrtensport ist aus
der Mode geraten. In Europa wenigstens. In Angola dürfte er
blühen, im Irak demnächst eingeführt werden. Ein Lokalderby
gegen Afghanistan wird nicht lange auf sich warten lassen.
Ich schlage bei Hemingway nach. Er hat dem Thema
Schönheitschirurgie, genau genommen dem Busenvergrößern eine
seiner Short-Stories gewidmet. „Hügel wie weisse Elefanten“.
Im Falle der Tochter unserer Bekannten sind es eher Karnickel.
Aber auch Pamela Anderson hat klein angefangen...
Männer können stupide Fetischisten sein! Frauen gehen ihnen
auf den Leim.
Um dem Maskenball zu animieren, erlaube ich mir von der
Schönheitschirurgie eine Brücke zur Architektur unserer
österreichischen Städte zu schlagen... Erinnern die
runderneuerten Damen, insbesondere die maskenähnlichen und
alle gleich aussehenden Gesichter nicht an die modernen
Stadtbilder einst so lieblicher Orte?
Ich schlage den Trägerinnen neuer Dekolletés vor, zur Flamme
zu gehen, sich nach dem Tode verbrennen und einäschern zu
lassen... Die posthume Lächerlichkeit, die einmal durch die
Silikonprothesen zwischen Knochen und Kleiderresten zutage
treten würde, wäre den Hinterbliebenen bestimmt zu peinlich.
Eine Beklemmung, die sich in vielen Orten des Alpenlandes
nicht mehr vermeiden lässt. Es schmerzt in meiner Brust, wenn
die Bilder postmoderner Architekturblüten vor den Augen meiner
Erinnerungen defilieren. Oft möchte man meinen, vor „Robocops
Mausoleum“ zu stehen.
Von professionellen Umweltverschönern und Gemeindevätern
möchte unsereins eine gewisse Logik erwarten. Hier reißen sie
altehrwürdige Gebäude und malerische Brücken nieder, dort
stecken sie Riesensummen in die Restauration veralterter
Zinskasernen, wo jede Schönheitschirurgie und Einbau von
Badezimmern und Balkone vergeblich scheinen...
Wenn einerseits das Skalpell interessante Gesichtszüge
beseitigt, fallen anderorts schöne Bauten der Spitzhacke,
pittoreske Altstadtkerne allgemeiner Dummheit zum Opfer.
Ich bin froh, dass meine Heimatstadt Kapfenberg nicht davon
betroffen wurde. Nahmen die Architekten am Ende unseren
Lokaladonis, den Kohlhauser Ossi zum Maßstab, um den Ort zu
verschönern? Ich bin geneigt daran zu glauben!
Ich gehöre der letzten Generation an, die an Expressionsfalten
und Krähenfüßen weit mehr Gefallen findet, als an künstlichen
und ausdruckslosen Wachsgesichtern, der jede Art von
Runderneuerung mindestens suspekt erscheint!
Ein altes Haus kann noch so oft renoviert werden, es bleibt
ein altes Haus. Auch wenn es in Nobelvierteln wie Mürzbogen
oder Schinitzhof steht.
Ich bin neugierig, was in Zukunft aus Baghdad wird. Von Kabul
hat man mir schon lange keine Fotos mehr gezeigt. Ich weiß
also nicht, wie die Rekonstruktion Afghanistans voran geht...
Moslems sind stärker im Nehmen als verweichlichte Christen,
heißt es. Die „Verlorene Generation“ wechselte wie der
Schwarze Peter die Hand, vom Westen in den Mittleren Osten...
Mir wird übel, wenn ich an die Bilder und vor allem an die
farbige Beschreibung der Zerstörung denke, die das Fernsehen
in unser Filzpantoffelambiente zaubert. Wann wird dort endlich
wieder Frieden und menschenwürdiges Leben gedeihen dürfen?
Allahu akbar und wirds schon richten. Der Teufel soll
inzwischen die selbstgerechten und kriegswütigen
Bombenschmeisser holen.
06. 04. 2003.
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