Egon Ranshofen-Wertheimer Preis
für Ernst Florian Winter
Stadttheater Braunau am Inn, 3. Mai 2008
Laudatio von Michel Cullin
Egon Ranshofen-Wertheimer und Ernst Florian Winter. Zwei Namen, die
miteinander weder persönlich noch politisch verbunden sind. Aber dennoch
fällt die heutige Verleihung des Egon Ranshofen-Wertheimer Preises an
Ernst Florian Winter unter eine
derartig auffällige Logik, dass man den Zufall nicht mehr als
Kategorie des Geschichte und der Politik betrachten sollte. Egon
Ranshofen-Wertheimer, der engagierte
internationale Sozialist österreichischer Herkunft, der Diplomat
im Völkerbund, aktiver Antinazi in den USA und Professor an der
renommierten American University in Washington, Ernst Florian
Winter der österreichischer Widerstandskämpfer in den USA,
später Professor an der renommierten Columbia University in New
York und Gründungsdirektor
der Diplomatischen Akademie in Wien, beide
sind für die Erinnerungsarbeit, die der österreichische
Gedenkdienst und die Stadt Braunau am Inn so verdienstvoll leisten,
untrennbar und ergeben ein äußerst tiefsinniges geistiges Paar.
„Wohin und Zurück„ ist wie Sie wissen, der Titel der beindruckenden
Filmtrilogie über
österreichische Exilanten von Axel Corti
die in der Waldheim-Zeit das Schicksal derjenigen schilderte, die
ihre Pflicht in der deutschen Wehrmacht nicht getan hatten. Als Ernst
Florian Winter in den 8Oer Jahren diesen
einmaligen Film sah und insbesondere den dritten Teil „Welcome in
Vienna“, war er tief
gerührt. Dies sei genau sein Schicksal, das Schicksal seiner Familie und
das Schicksal von den Menschen, die wie er meinte, Österreich 1938 in
die Welt getragen hätten.
Denn der Mann, der
heute geehrt wird, ist für jene Österreicher stellvertretend, die
an ihr Österreich nie gezweifelt haben, weil sie
echte Patrioten waren und an eine österreichische
Wertegemeinschaft des Humanismus festhielten, die sie als Nation fühlten
und definierten.
Gerade Ernst
Florian Winter nahm dieses Österreich auf dem langen Weg des Exils mit,
tauschte es nicht gegen eine andere Identität aus und
betrachtete es als Auftrag
im Kampf gegen Nationalsozialismus und Deutschnationalismus.
Er war in jener
Republik aufgewachsen, der die Gründungsväter die osterreichnationale
Raison d'être verweigert hatten, aber die dennoch sein Vater,
Ernst Karl Winter, im März 1933, als durch das sogenannte
Kriegsermächtigungsgesetz das Parlament ausgeschaltet wurde so vehement
verteidigte. In dem berühmten Brief an den damaligen Bundespräsidenten
Wilhelm Miklas schrieb Ernst Karl Winter: „mangelnde
verfassungsrechtliche Einsicht auf der einen Seite und eine
althergebrachte Überdeckung des parteipolitischen Interesses durch die
höchsten religiösen Werte auf der anderen Seite können zweifellos
bewirken, dass die Rechtsgrundsätze, auch wo ein Verfassungsgelöbnis sie
trägt, völlig in den Hintergrund gedrängt werden...“ ,Winter weiter
:“ Mögen Sie, Herr Bundespräsident, bedenken, dass es gerade
für die katholische Sache nicht gleichgültig sein kann, dass
Verfassungsgelöbnisse im Ernstfall so wenig ernst genommen werden, wie
dies in der Tat geschehen ist“. Und schließlich: „ die politische
Abwehr wird deshalb nicht überflüssig. Sie darf meiner
Rechtsüberzeugung nach im gegebenen Fall bis zur vollen Entfaltung des
Widerstandsrechtes gelten“. Worte seines Vaters,
die kurz vor dem
Februar 1934 beinahe
prophetisch waren aber Worte, derer Ernst Florian sich sein Leben lang
bis heute besinnt hat. Es
war jene“ Republik der beiden Ufer,, um den Ausdruck einer der
langjährigen politischen Galionsfiguren der französischen Linken, Jean
Pierre Chevènement zu verwenden, die Ernst Karl Winter
unter der politischen
Maxime „Rechts stehen und links denken„ für sich beansprucht hatte. Der
Sohn, Ernst Florian, beherzigte sie
nach 1938 sein
Leben lang, als Mentor
von Generationen
österreichischer Diplomaten, die um die
Mitte der 6Oer Jahre in Wien an der Diplomatischen Akademie
ausgebildet wurden und als
Professor für Politikwissenschaft, der diesem Fach in Österreich die
wesentlichen Gründungsimpulse lieferte.
Österreich, Republik und Nation, ein geistiges Dreieck, das er
Vielen im In und Ausland zu vermitteln gewusst hat und wofür Viele im
In- und Ausland so dankbar sind.
Die Jahre der
Neulandschule, die Ernst Florian Winter in Wien in der
Zwischenkriegszeit besuchte,
gekoppelt mit der Erfahrung
einer gespaltenen Republik, die vor 1938 abgeschafft und die sein Vater
als wiedervereinigte und
intern versöhnte Republik
wiederherstellen wollte, waren für seinen späteren politischen
Bürgersinn entscheidend. Er verstand gleich damals, dass Republik ohne
Demokratie nicht die gemeinsame „res publica“ der „citoyens „ sein kann,
dass aber Demokratie ohne
Republik nicht lebensfähig ist, weil sie nicht beseelt wird. Beide
Republik und Demokratie bilden die österreichische Nation, die er dann
jahrzehntelang unermüdlich einforderte.
Er hat in einer Zeit dafür gekämpft, in der der Name Österreich
ausgelöscht worden war. Und in dem französischen Exil, wo er sich mit
seiner Familie vor Ausbruch des 2.Weltkrieges aufhielt und der
Internierung als „ étranger indésirable „ (unerwünschter
Ausländer) entkam, erlebte er wie sein Vater versuchte, eine
provisorische österreichische Exilregierung auf die Beine zu stellen und
an der Zerrissenheit des politischen österreichischen Exils
scheiterte. Ein anderer Exilant namens Otto von Habsburg
versuchte es auch seinerseits, ohne Erfolg. Ein Teil der
sozialistischen
österreichischen Exilanten, die nach 1934 nach Frankreich geflohen
waren, hatten Ernst Karl Winter nicht rezipiert und konnten sich mit dem
Österreich von Otto nicht anfreunden. Zwischen Ernst Karl Winter und
Otto von Habsburg gab es
diesbezüglich einen Dissens, besonders in der Frage der politischen
Identität des Landes, und zwar nicht nur in Frankreich sondern später im
gemeinsamen Exil in den USA.
Als Ernst Florian Winter als Unteroffizier der
amerikanischen OSS im April 1945 nach Österreich zurückkam, stoß
er nicht auf österreichische
Widerstandskämpfer. Hier in Westösterreich, im Unterschied zu
Vorarlberg, wo die Franzosen um General Emil Bethouart
mit österreichischen
Widerstandsgruppen in
der Schweiz um Fritz Molden und später in Tirol um Karl Gruber in
Kontakt standen, gab es kaum Kontakte der Befreier zum lokalen
Widerstand. Er, Ernst Florian Winter , verkörperte allerdings jenen
österreichischen Widerstand, den das Exil in Amerika, in England, in
Frankreich, in der Sowjetunion und in anderen europäischen Ländern
unter den verschiedensten Formen ermöglicht hatte. In den USA
hatten sich Österreicher
jüdischer und nicht jüdischer Herkunft zur Armee gemeldet, um ihr
Österreich zu befreien, das sie
trotz Verfolgung, Emigration und Krieg nicht aufgegeben hatten.
Ihre Rückkehr nach Österreich nach 1945 ist allerdings kein Ruhmesblatt
für die neu gegründete Republik und gehört bis heute zu dem Kapitel
nicht angeeigneter Vergangenheit. Der legendäre Kulturstadtrat von Wien
in dieser Zeit, Viktor Matejka, war einer der ganz Wenigen unter den
politischen Akteuren der Nachkriegszeit, die sich
gegen die herrschende
politische Kultur von links nach rechts um die Rückkehr der Emigranten
und Exilanten bemühten. Bruno Kreisky, der später als Außenminister den
Exilanten Ernst Florian Winter in den 60er Jahren nach Österreich
zurückholt hat selber in seinen Memoiren geschildert, wie in der
unmittelbaren Nachkriegszeit manche Genossen, die in wichtigen Ämtern
saßen ihm klar zu Verstehen gaben, lieber in Schweden zu bleiben als
nach Österreich zurückzukehren. Ernst Florian Winter gehörte zu diesen
österreichischen Patrioten und Antinazis, die weil, sie in einer
so genannten feindlichen Armee
gedient hatten, in Österreich nicht gerne gesehen wurden. Er
blieb in den USA, und er schaffte es bis zum
prominenten Professor für Politikwissenschaft an der Columbia
Universität in New York.
Sein Österreich war ihm abhanden gekommen. Es fehlte ihm dort, im fernen
Amerika, wo er mit etlichen großen Namen
aus der Politik und der Wissenschaft zusammenkam, zum Teil waren
es Exilanten wie er, die allerdings resigniert hatten.
Aber dann kam doch die Rückkehr. Der Vater war früher zurückgekehrt,
wurde allerdings nicht auf
eine Professorenstelle berufen,
weil die noch mit vielen
deutschnationalen Professoren besetzte Wiener Universität der
5Oer Jahre dies verhinderte. In diesem Zusammenhang sei ein anderer Name
erwähnt, der ähnlich wie Ernst Florian Winter aufgrund seines
österreichnationalen Engagements
aus dem Kreis der ordentlichen
Professoren ausgeschlossen wurde, nämlich Friedrich Heer .
Aber für Ernst Florian Winter hieß es in den 6Oer Jahren, das Erbe
des österreichischen Widerstandes weiterzupflegen, und zwar in
einem originellen Sinn, nämlich die österreichische Nation
als Auftrag an die
Republik der beiden Ufer. Außenpolitisch hieß es
die aktive
Neutralität und die eng mit
ihr verbundenen
Vermittlung in Konflikten und
internationalen Spannungen. Bruno Kreisky hat wesentlich dazu
beigetragen, dass dieser Auftrag in diesem Sinn erfüllt wurde. Ernst
Florian Winter sowie die
Direktoren, die seine Nachfolger in der Diplomatischen Akademie wurden,
wie z.B. Arthur Breycha-Vauthier oder
Alfred Missong trugen
zur aktiven Auseinandersetzung mit diesem Geist
der Befreiung von1945 bei, denn Widerstand gegen den
Nationalsozialismus hatte vorausgesetzt, dass man Völkerverständigung
und Friedensarbeit nicht mehr blauäugig als Nicht-Einmischung in die
Angelegenheiten des Nachbarn
versteht sondern als Verpflichtung
zur interkulturellen
Kommunikation in der Diplomatie und in der internationalen Politik
Neutralität konnte nicht für die Menschen, die die Erfahrung des
Widerstands gemacht hatten,
Wegschauen und sich nicht Einmischen bedeuten. Appeasement-Politik
bedeutete bekanntlich 1938, als Österreich durch die Annexion durch
Hitlerdeutschland von der europäischen Landkarte verschwand und
ein halbes Jahr später als die Tschechoslowakei auch der
Machtexpansion von Hitler zum Opfer fiel, keinen Dienst für den
Frieden sondern eine Schande, die Frankreich und England u.a. bis in
unsere Gegenwart mit tragen müssen, wenn
die beiden Länder
ihre Erinnerungsarbeit ernst nehmen.
Nach der Diplomatischen Akademie, wo der oft im Widerstand zur Bürokratie
des österreichischen Außenamtes stehenden
Ernst Florian Winter ging der Lebensweg des Professors und des
Diplomaten weiter. Weitere Etappen waren
die Direktion des Instituts für höhere Studien, wo
Politikwissenschaft die dort vermittelt und erforscht wurde, die besten
Geister des Landes erzeugte. Namen wie Anton Pelinka, Traudl
Brandstaller, Peter Gerlich, Helmut Kramer und viele Andere legen
Zeugnis dafür ab. Eine Mitarbeiterin des Direktors namens Freda
Meissner-Blau war an diesem Erfolg mitbeteiligt. Dann kam die Direktion
der Sozialwissenschaften in der UNESCO in Paris, wo der
gute Onkel Willy
(Wilhelm Matejka) den Kindern der Familie Winter ähnlich wie der Vater
von der antinazistischen Tradition, die mit dem Namen Matejka verbunden
war, erzählte. Dann die vielen politischen
Aufträge zum Teil im Namen der Vereinten Nationen
in Genf, in New York und in Peking, in Russland bis Pristina
heute. Hier ging der Weg anders, in einer anderen Reihenfolge als bei
Egon Ranshofen-Wertheimer aber die beiden Männer, stellvertretend für
den neuen Kosmopolitismus, den Sie verkörpern, haben den bekannten
Spruch von Franz Grillparzer völlig umgekehrt, es heißt für dann: „Von
der Bestialität über Nationalität zur Humanität durch
Internationalität“, wobei der letzte Zusatz noch treffender ihr Werk
charakterisiert.
Ernst Florian Winter ist der
absolut würdige Träger dieses Preises.
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