Welche Bilder steigen in uns auf, woran denken wir, wenn
wir das Wort Albanien hören?
Industrieruinen, verdreckte Straßen, Drogenhandel, Menschenhandel,
Organhandel, Korruption, Armut, Gesetzlosigkeit, Blutrache. Albanien ist
ein blinder Fleck im Bewusstsein der Europäer. Irgendein
ex-kommunistisches, heruntergewirtschaftetes Land südlich von
Ex-Jugoslawien. Sind das alles nur Klischees oder gibt es auch ein anderes
Albanien? Ein eigenständiges albanisches Kulturleben?
Am 17. Juni 2004 veranstaltete das Schauspielhaus Salzburg in
Zusammenarbeit mit Bayern 4Klassik einen Themenabend über Albanien. Zu
Beginn waren zwei Filme zu sehen, die den Zuschauern ein Land zeigten, das
völlig zerstört ist: heruntergekommene Städte, Müllhalden an allen
Straßenecken, herumliegende Autowracks entlang der Straßen, Straßen, die
nur aus Schlaglöchern und Schlammpfützen bestehen, verfallene und
verrottete Industrieanlagen, keine Produktion, keine Wirtschaft, keine
Arbeit. Ein Land, das von Kriminalität und Korruption beherrscht wird,
Menschen, die kein Unrechtsbewußtsein haben, eine völlig zerstörte
Gesellschaft, ein Land ohne Identität, in dem Blutrache die Normalität
ist.
Bei der anschließenden Live-Sendung „contrapunkt“, die auf
Bayern4Klassik übertragen wurde, diskutierten Beque Cufaj, Journalist,
Fatos Lubonja, Schriftsteller, Sokol Shupo, Musikprofessor und Susanne
Glass, ARD-Korrespondentin über das Leben im heutigen Albanien, die
Probleme und die Zukunft dieses Landes.
In einem Punkt waren sich alle einig: Albanien ist ein am Boden
liegendes, erstarrtes Land, das politisch und wirtschaftlich von sich
bekämpfenden Clans beherrscht wird. Fatos Lubonja, der 17 Jahre in
Gefängnissen und Arbeitslagern verbrachte, nannte die herrschende Elite
eine „Mafiaklasse“, die Politik, Wirtschaft und Medien beherrscht. Eine
geschlossene Gruppe, die Macht und Geld unter sich aufteilt, und kein
Interesse hat, die bestehenden Verhältnisse zu verändern.
Susanne Glass meinte, auch wenn viele Klischees leider wahr sind,
so gibt es doch vereinzelt Bemühungen von Politikern, die Lebensumstände
der Menschen zu verbessern. Dem widersprachen Fatos Lubonja und Beque
Cufaj nachdrücklich: Diese Maßnahmen dienen ausschließlich dazu, dem
Westen zu Gefallen, verbessern aber die Situation der Menschen nicht. Auch
Sokol Shupo schloß sich dieser Ansicht an: „Es wird nur investiert um an
der Macht zu bleiben“.
Und doch gibt es Bestrebungen nach der Starre des Kommunismus
wieder albanische Kultur aufleben zu lassen. Sokol Shupo veranstaltet seit
Jahren Musikfestivals in Tirana, der Hauptstadt Albaniens, und seit zwei
Jahren findet auch ein internationales Filmfestival statt. Ebenso widmet
sich Sokol Shupo der Wiederbelebung der traditionellen albanischen Musik.
Albanien strebt die Mitgliedschaft in der Europäischen Union an.
„Hilfe von außen wird erhofft und eingefordert“ betonte Susanne Glass. Wie
lange der Weg dorthin ist, vermochte niemand einzuschätzen. Ob Albanien
aus eigenem Antrieb die Kraft findet, Land und Gesellschaft zu verändern
und neu aufzubauen, blieb offen.
19.06.2004
Michaela
Essler, Dorfzeitung
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