Gewalt – ohne Ursprung und ohne Ende. Alex lebt in der
Gewalt, ist ihr Herr, ist ihr Opfer und geht letztendlich daran zugrunde.
Alex ist Teil der Gewalt und die Gewalt ist ein Teil von Alex:
Schlägereien, Überfälle, Vergewaltigung sind fixe Bestandteile seines
Lebens und das seiner Freunde. Die Opfer werden willkürlich ausgewählt –
quasi ohne Ansehen der Person – werden geschlagen, misshandelt und
gequält, einfach weil sie gerade da sind.
Begleitet wird das Ganze von Voyeuren, die gleichzeitig
Opfer und Klaqueure sind. Doch dann ermordet Alex eine Frau. Wird
verhaftet, kommt ins Gefängnis. Erlebt nun die Gewalt als Opfer. Erlebt
Gewalt nicht als willkürlichen Akt – so wie er sie gelebt hat, sondern als
routinemäßige, gezielte und systematisierte Handlung – ausgeübt von der
Obrigkeit – von Polizei und Gefängniswärtern. Doch es gibt eine
Möglichkeit dem allen zu entrinnen: die spezielle Behandlung von Dr.
Brodsky-Mengele. Eine Behandlungsmethode, die den Gewaltverbrecher so
lange der Gewalt – in Handlung und Bild – aussetzt, bis aus dem Täter nur
noch ein winselndes Häufchen geworden ist. Gewalt wird mit Gewalt geheilt
– lautet das Credo.
Jede Form der Gewalt, ob in Wort oder Tat, bereitet Alex
nun Schmerzen, bereitet ihm schlimmste Übelkeit. Sex – allein bei dem
Gedanken windet er sich vor Schmerzen. Geheilt – jubelt die Politik und
die Gesellschaft. Hurra, der Verbrecher ist für immer gewandelt. Doch nun,
da der Peiniger gebrochen und schwach, werden seine einstigen Opfer zu
Tätern. Quälen und prügeln Alex. Die Rollen sind nun gewechselt: Die
einstigen Opfer sind die Täter, der einstige Täter ist das Opfer. Die
Gewalt ist da – ohne Ursprung und ohne Ende – Opfer und Täter haben
lediglich die Plätze getauscht. Der einzige Ausweg für Alex – der Tod.
Für die Inszenierung von Steffen Höld gibt es nur ein Wort
– meisterhaft.
Alles ist nahezu vollkommen auf einander abgestimmt:
Bühnenbild, Kostüme, Musik und das hervorragende Ensemble der
Elisabethbühne bilden ein harmonisches Ganzes.
All das, was aus den Nachrichten hinlänglich bekannt, wird
hier greifbar und fühlbar. Der Zuschauer wird herausgeholt aus der
sicheren Ecke, in der er lebt. Gewalt ist plötzlich nicht mehr nur ein
Bild oder eine Erzählung oder ein Bericht, sie wird real – auch für den
Beobachter erlebbar.
Die Darstellung der Gewaltakte in stilisierter Form
verstärkt die Wirkung, steigert das Unbehagen, und enthüllt die
erschreckende Selbstverständlichkeit und Leichtigkeit, mit der Menschen
anderen Menschen Gewalt antun können.
Man hört, sieht und spürt die Gewalt. Man will sich
abwenden, kann aber doch nicht wegsehen. Man unterliegt dem Sog der
Handlung, steht im Bann der schauspielerischen Kraft des Ensembles.
Kurz gesagt: Theater vom Feinsten.
17. 3. 2004
Michaela
Essler,
Dorfzeitung
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