Krieg beginnt nicht mit dem ersten Schuß, beginnt nicht
mit dem ersten Toten. Krieg beginnt Jahre vorher mit den Worten.
Jürgen Wertheimer ist Professor für Germanistik und vergleichender
Literaturwissenschaft an der Universität Tübingen. In seinen Buch
„Krieg der Wörter – Die Kulturkonfliktslüge“ beschreibt Jürgen
Wertheimer wie Kriege und Kulturkonflikte „inszeniert“ werden:
Zunächst wird ein Feind erfunden, und einer Gruppe zugeordnet. Als
nächstes „entdeckt“ man sich selbst neu. Bisherige Schwächen werden
als Stärken dargestellt – daß es Schwächen sind, daran sind die
„anderen“ schuld. Dann wird ein „Programm“ erstellt, in dem das eigene
Recht und das Unrecht der anderen dargestellt wird. Zu diesem Programm
werden noch Mythen hinzugefügt: Leidens- und Opfergeschichten aus der
nationalen Geschichte. An sich Banales wird zum Mythos stilisiert.
Symbole, Farben, und Zeichen werden zum Identifikationspunkt für die
Massen. Damit sind die Voraussetzungen für Massaker und ethnische
Säuberungen geschaffen.
Den Boden für diese Kulturkriege bereitet die Sprache. „Die Sprache
ist die Software im Arsenal der Kriege zwischen Kulturen“ so Josef
Wertheimer. „Mittels der Software „Sprache“ programmiert die
Gesellschaft sich selbst. Sprache moduliert nicht nur Einstellungen,
sondern regelt die gesamten Verarbeitungsmechanismen des Umgangs mit
dem anderen.“ „Der Krieg der Worte ist nicht Modell oder Vorspiel,
sondern bereits unmittelbares Geschehen. Worte sind in diesem Sinne
bereits Taten, Sprachhandlung verweist nicht auf Handlung, sondern
ist bereits Handlung.“
Die Sprache erzeugt Wirklichkeiten und Wirklichkeiten werden der
Sprache und den Texten angeglichen. Die Vereinfachungen, die durch
eindeutige Zuordnungen, eindeutige Bestimmungen entstehen,
widersprechen dem Erleben des Einzelnen. „Kulturkriege“ entstehen
häufig zwischen Gruppen, die sich sehr gut kennen. Der Feind ist nicht
der Fremde, sondern der Wohlbekannte. Die Kunst der Kriegstreiber
besteht darin, diese Erfahrung des mehr oder weniger harmonischen
Miteinander auszulöschen, Abgrenzung zu schaffen.
Wie schwierig Identität und Zugehörigkeit ist, untersucht Jürgen
Wertheimer an verschiedenen literarischen Texten: Lessings „Nathan“,
Josef Roths „Radetzkymarsch“ und Texten von Heinrich Heine.
An Beispielen wie Bosnien, Kosovo und Palästina, dem
Nationalsozialismus und den Konflikten zwischen Judentum, Christentum
und Islam analysiert Jürgen Wertheimer ausführlich wie Sprache und vor
allem „Gesinnungskitschphrasen“ den Weg ins „völkische
Reinheitsdesaster“ öffnen. Er untersucht minutiös welche Wirkung
Mythen in diesem Szenario haben, wie eine beliebige Geschichte in ein
Stück bedeutsame Geschichte verwandelt wird: „Schlammschlacht
wird zum Kreuzzug hochgesungen, eigene Dämlichkeit wird als Reinheit
zum Kult, Irrläufer werden Märtyrer, Blindgänger verwandeln sich in
Legenden; Neid ist Volkszorn, Sadismus Härte, Mord Opfer.“
Überall wo Absonderung passiert, überall wo Gruppenidentität und
die Dominanz einer Gruppe hochstilisiert wird, ist die Gefahr der
Eskalation. Jürgen Wertheimer sieht die einzige Möglichkeit der
friedlichen Koexistenz verschiedener Gruppen, Ethnien und Völker in
der Akzeptanz der Verschiedenheit. Es darf kein „Entweder – Oder“
geben – es muß ein „Sowohl – als auch“ sein: „Es geht nicht um
Angleichung oder Anpassung, sondern um die Kraft, anders sein zu
können und den Anderen gelten zu lassen in seinem Anderssein.“
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