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Dieses Jahr in Tracht
Münchner Oktoberfest:
Mode - Tradition und Massenwahn
Prost. „Ein Prosit der Gemütlichkeit!“ hallt es durchs Zelt. Herrlich.
Die kalte Maß fest in der Hand. Die Sonne scheint, macht den Kopf rot,
die Arme braun. Und wenn es auch einmal regnet, die Kapelle spielt
weiter und verbreitet volkstümlichen Sonnenschein.
Ob im Bierzelt oder Biergarten, rund um die Zeit des
Münchner Oktoberfestes ist jeder Bayer, ein Urgestein in Tracht, Dirndl
und Lederhosen, die Feder im Hut. Saufen, brüllen, jodeln - so gut, wie
man es halt kann. Schwere Bierkrüge lasten auf den bejahrten, rauen
Tischen.
Es ist eine wilde Zeit, auf die manch einer sogar das
ganze Jahr über spart, um auf seine Kosten kommen zu können. Ja, auch
das berühmte Volksfest wird jedes Jahr ein bisschen teurer. Doch das
nehmen wir Bayern doch gerne in Kauf, schließlich geht's hier um die
Wiesn, und die hat Tradition.
Sensations-Mode
Dass verspiegelte Papierbrillen nach der
Sonnenfinsternis 1999 nicht zur modischen Erscheinung wurden, liegt wohl
nur daran, dass so eine „Eklipse“ nicht wirklich so regelmäßig die
Massen erregt. Und weil der Oberbürgermeister jedes Jahr erneut den
Hammer schwingt und den Hahn ins pralle Fass treibt, während ihm einer
mit dümmlichem Grinsen das Mikrofon ins Gesicht hält, schaut es mit
modischen Strömungen zur Wiesnzeit etwas anders aus.
O'zapft is'!
Zu Zehntausenden strömen jedes Jahr die durstigen
Massen der Welt in die Landeshauptstadt, um dem Verlangen nach dem
goldenen Wasser des o'zapften Münchens nachzugeben.
Das 15-tägige Oktoberfest ist,
ganz klar, ein alljährlicher Höhepunkt der Stimmung. Neben
Arbeitsplätzen bietet das Fest auch eine Menge Spaß. In den Medien sowie
in der Bevölkerung genießt es hohes Ansehen,
trotz der unerhört steigenden Preise, üblen
Schlägereien und anderen kriminellen Erscheinungen.
„Ick bin ein Bayer.“
Ich erinnere mich an Begegnungen mit meinem Onkel, der
zur Wiesnzeit bislang nur selten fehlte. Der beleibte Onkel Ralf aus
Berlin auf dem Oktoberfest will natürlich die bayerische Tradition nicht
mit Füßen treten, er geht in Tracht, so wie es sich gehört. Dass
Lederhosen und Trachtenhemden „nicht alles sind“, um dem „Bavarian
Lifestyle“ gerecht zu werden, gab er mir Münchner Kindl schon früher und
mit überaus schlecht vorgetäuschtem Dialekt zu verstehen. Und während
Onkel versuchte, die vollbusige Bedienung mit steifem Berliner-Bayerisch
zu beeindrucken, versank ich immer tiefer hinter meiner Limo.
Genau wie meine Berliner Verwandtschaft sind
Wiesn-Touristen oft alleinig darauf aus, sich auf dem Oktoberfest als
„Teil der Gaudi“ zu präsentieren. Im Kampf um die originellste und
zünftigste Tracht gilt es scheinbar inzwischen für viele als ein
„No-Go“, ohne angemessene Garderobe den zertrampelten Boden des
Oktoberfestes zu betreten.
Es ist zweifelsohne etwas Erstrebenswertes für viele
Menschen, jedes Jahr den Bayer „raushängen zu lassen". Um so einer zu
sein, braucht es nicht nur den Suff, einen roten Kopf und den passenden
Dialekt, sondern auch die passende Kluft. Deswegen findet auch jedes
Jahr erneut die Suche nach dem passenden Outfit ihren Weg in die „Trendy-Traditionsläden“,
etwa der Münchner Innenstadt. Völlig übertriebene Preise locken
natürlich vor allem die wohlhabenden Teilzeit-Bayern, während inzwischen
auch preiswerte Wiesn-Ausrüstung im Angebot steht.
Eigentlich eine
Beleidigung für die bayerische Tradition ist nun, dass kulturelle
Überreste wie traditionelle Kleidung – ob man sie nun schön findet oder
nicht – dass also solche Elemente seit geraumer Zeit zwar äußerst gut
verkauft werden, sich die Herrschaften sonst aber hüten würden, in
diesem „Clownsoutfit“ aus Leder und Leinen außerhalb der Biersaison
herumzulaufen; und dieses somit bis zum nächsten Jahr in den Schrank
verbannen. Ich jedenfalls fühle mich auch ohne Lederhose hier heimisch.
Fahre ich ins Münchner Umland, beobachte ich trotzdem gerne, wie sich
die Burschen und Mädel der freiwilligen Feuerwehr in Trachten gekleidet
geschäftig zum nächsten „Irgendwas“ aufmachen. Und wären die Trachten um
September-Oktober herum ein wenig mehr, als nur modisches Accessoire für
einen außerordentlichen Kostümball, so wäre ich der letzte - wirklich
der letzte! - der den Dirnen im Dirndl etwas entgegensetzen könnte.
München, im September 2007
Gidon
Wagner,
Dorfzeitung
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