Christiane Pott-Schlager erzählt über ihren Atelieraufenthalt in China und über das
Kunstprojekt "Der Spaziergang", die Gestaltung einer Wand auf der Southwest Jiatong Universität, ChengDu
Ich war mitten in meiner Arbeit der Ölmalerei, versunken in der
Betrachtung schwerer, massiver Eisenstücke mit den für mich faszinierenden
Alterserscheinungen des Rostes, den ich auf die Leinwand versuchte
einzufangen, als ich von Dir. Karl- Heinz Schönswetter eine Einladung nach
China erhielt. Dieser Überraschungseffekt der Einladung und die
Unsicherheit, was mich dort erwartet, hat sich bis zuletzt gehalten, trotz
versuchter Vorbereitungen und Informationssammlungen. Für mich galt also:
ohne malerisches Konzept nach China, einfach von Land und Leuten
inspirieren lassen.
Nach beeindruckenden Rundreisestationen über Peking, Luoyang, Xian, Guilin,
Chongching, Suchou, Shanghai ging es dann in die 9 Millionenstadt ChengDu,
um dort an der Universität ein Atelier zu beziehen und für ein paar Monate
künstlerisch zu arbeiten. Ganz anders als meine Vorstellung war das Leben
auf dem Campus. Das Universitätsgelände ist umringt von einer hohen Mauer
und hat für die ca. 12.000 Einwohner nur vier bewachte Ein- und Ausfahrten
und ist auch sonst ein von vielen uniformierten Aufsehern und Türstehern
Tag und Nacht gut gesicherter Ort. Es leben nicht nur Studenten auf dem
Gelände, sondern auch Professoren, viele Pensionisten, Familien mit
Kindern, Arbeiter und Händler. Also ein großes Dorf mit zahlreichen
Bewohnern aber auf recht kleinem Areal. Erstaunlicherweise gab es dort
keine Sandler, keine Betrunkenen, keine Punker, ebenso waren keine
Graffitis an den Wänden, kaum Plakate, es gab keine Demonstrationen und
auch kaum Kulturveranstaltungen im weitesten Sinne. Stattdessen viele
Sportplätze: Fußballfelder, Basketball-, Volleyball- , Federball- ,
Tennisplätze , Schwimmhallen und Stadien...
Außerdem boten sich in der näheren Umgebung ca. 30-40 Möglichkeiten zu
speisen, sei es nun an den berühmt-berüchtigten Garküchen entlang der
Straße, in kleinen Selbstbedienungsrestaurants in MacDonald-Ästhetik oder
aber in gediegenen Teehäuser und Restaurants mit aufwendiger, feinster
chinesischer Kochkunst.
Für mich hat sich das Arbeiten im Atelier oft bis in die Nacht hinein
verschoben, da es tagsüber aufgrund bis zu 40 Grad Hitze und
schweißtreibender Luftfeuchtigkeit kaum auszuhalten war...zumindest für
eine norddeutsche Hanseatin wie mich.
Auf meinen Erkundungsgängen durch die Straßen, Geschäftsviertel, Märkte
und Gebäudekomplexe war ich hauptsächlich zu Fuß unterwegs, hin und wieder
mit dem Bus, dem Taxi oder einem der zahlreichen Fahrrad- Rikschas.
Das Privatleben der Chinesen fand zu meiner täglichen Überraschung auf der
Straße statt, egal ob es sich um Essen, Schlafen, Haare kämmen, Haare
schneiden, Rasieren, Erziehen, Schulaufgaben machen, Zahnbehandeln,
Fahrradreparaturen oder Familienstreitigkeiten handelte- alles fand im
öffentlichen Raum statt, oftmals sogar unter den Baumreihen entlang der
Straße.
Aus den erlebnisreichen Eindrücken meiner Spaziergänge habe ich ein
Konzept entwickelt, das die ungestalteten Wandflächen auf dem Gelände der
Universität zu quasi erzählenden Kulissen umgestaltet, zu einem Spiegel
der chinesischen Gesellschaft.
Dazu habe ich lebensgroße Figuren, die Personen unterschiedlichen Alters
aus dem chinesischen Straßenalltag zeigen, auf die Wände gesprüht. Mit
klarer Umrißlinie, die auf viele Details rückschließen lässt und
undramatischer Haltung zeigen die Figuren - wie im chinesischen
Scherenschnitt - immer neue kleine Szenen und erzählen damit ihre eigenen
Geschichten: unspektakulär und liebenswürdig.
Die Erlaubnis dafür zu erhalten war eine mindestens ebenso spannende
Geschichte, denn die meisten Direktoren und Abteilungsleiter der
Universität sprechen kein Englisch. Ausgeliefert dem lieben Prof. Xu Bo
Shu, der im Sommer in Riedersbach Stahlplastiken erarbeitet hat und
Deutsch spricht, bin ich also von Büro zu Büro, um mich und meine Arbeit
händeschüttelnd vorzustellen. Oft waren nur ein paar Kopfnicken nötig, um
den Kontakt zu den chinesischen Entscheidungsträgern aufrecht zu halten.
Nach dem letzten Gang ins Politbüro war dann zumindest ein Drittel meines
großen Projekts genehmigt und die Arbeit konnte begonnen werden mit sehr
liebevoller und umsichtiger Hilfe zahlreicher chinesischer Studentinnen
und Studenten.
Nun suche ich ein paar Wände in der Umgebung von Lamprechtshausen, um eine
chinesische Ecke zu gestalten. Dabei fällt mir auf, dass es hierzulande
auch ohne kommunistischer Diktatur mindestens so schwierig ist, ein paar
Wände zur künstlerischen Gestaltung zugesprochen zu bekommen.
Sollte Ihnen , lieber Leser, eine Wand einfallen, die man mit lebensgroßen
Figuren, wie ich es beschrieben habe, künstlerisch gestalten könnte, dann
schreiben sie mir doch einfach. Ich habe noch Hoffnung!
Christiane Pott-Schlager
Das Urheberrecht für alle
Texte, Bilder und Fotos liegt bei den AutorInnen.
Die Verwendung des, auf
dieser Seite veröffentlichte Bild- und Textmaterials,
ist ohne ausdrückliche Genehmigung
durch die AutorInnen untersagt. |
|
Arbeiten auf chinesischem
Papier im Atelier ChengDu...
StudentInnen helfen mir bei
der Wandgestaltung...
Die Straße ist eine Mauer.
"Ein Spaziergang auf der
Wand". Ausschnitt...
Imposant: Das Hauptgebäude
der Universität Jiatong...
Lichtdurchflutet. Mein
Atelier im 12. Stock der Universität...
Dank für euer Lächeln, danke für
eure Gastfreundschaft...
Zur Webseite von
Christiane
Über den Beitrag diskutieren |